Bundeskanzler Merz sprach auf dem Treffen der Wirtschaftsbosse am 21. Juli im Kanzleramt von der „größten Investitionsoffensive seit Jahrzehnten“. Und er lobte die Bereitschaft der anwesenden Unternehmen, bis 2028 insgesamt 631 Milliarden Euro aus eigenen Mitteln in die heimische Wirtschaft zu stecken. Kleinere und mittelständische Unternehmen wurden von Merz nicht eingeladen, was unter anderem Jens Boysen-Hogrefe, Konjunkturforscher des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), gegenüber dem Bayerischen Rundfunk kritisierte.
Trotzdem zelebrierten Wirtschaft und Politik in Berlin öffentlichkeitswirksam einen Schulterschluss. Bereits wenige Tage zuvor hatte Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) im Zuge der Haushaltsberatungen im Bundestag für Rekordinvestitionen in Höhe von bis zu 115 Milliarden Euro geworben. Das sind dringend notwendige Mittel, denn ohne die richtigen Signale aus der Politik könnte der Investitionsbooster schnell verpuffen. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing unterstrich in einem „Handelsblatt“-Interview: „Wir brauchen in der Politik den Mut für strukturelle Veränderungen, und da müssen unbedingt große Schritte folgen.“
Investitionsgipfel: Signal oder PR-Show?
Kritiker sahen im Innovationsgipfel ein Déjà-vu der alten Deutschland AG: männlich, homogen, retrospektiv. Von einer „symbolischen Rückwärtsrolle in die 1980er-Jahre“ war gar in der „Süddeutschen Zeitung“ die Rede, weil es mit Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) und Commerzbank-Chefin Bettina Orlopp lediglich zwei Frauen auf das Abschlussbild des Gipfels schafften. Doch das Problem reicht tiefer: Deutschland hat ein Investitionsdefizit. Und das seit Jahren. Der neue FDP-Parteivorsitzende Christian Dürr nannte den Investitionsgipfel eine „PR-Show“ und forderte von der Bundesregierung: „Die Standortbedingungen für alle müssen in Deutschland strukturell verbessert werden. Das gelingt, wenn wir insbesondere den Mittelstand spürbar entlasten und durch mutige Reformen im Sozialstaat einen echten Fortschrittsmotor schaffen, der den Menschen nicht weiter durch immer höhere Beiträge die Lust auf Arbeit nimmt.“
Was Unternehmen wirklich bremst
Die Unternehmensinvestitionen in Deutschland lagen laut KfW Research im dritten Quartal 2024 real um 6,5 Prozent unter dem Stand von Ende 2019. Besonders schlecht sieht es bei Aufwendungen für Maschinen, Gebäude und Infrastruktur aus – also genau jenen Bereichen, in denen Zukunftsfähigkeit entsteht. Während in den USA und in Teilen Asiens die Investitionsdynamik nach der Pandemie rasch zurückkehrte, verlor Deutschland den Anschluss. Das untermauert auch der internationale Vergleich: In Frankreich, den USA und sogar in der EU insgesamt investieren Firmen wieder mehr als vor der Corona-Pandemie, in Deutschland nicht. Der Staat hinkt ebenfalls hinterher. Zwar sind die öffentlichen Investitionen seit 2019 leicht gestiegen, aber nicht im erforderlichen Maß. Die Substanz der Infrastruktur – Straßen, Schulen, digitale Netze – bröckelt weiter. Ein Standortnachteil mit Langzeitfolgen.
Aber warum sind deutsche Unternehmen so zögerlich? Ein zentrales Ergebnis einer Sonderauswertung der Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zu Jahresbeginn kommt zu dem Schluss, dass hohe Energie- und Arbeitskosten sowie unvorteilhafte wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen die Attraktivität des Standorts Deutschland schmälern. „Deutschland droht den Anschluss zu verlieren!“, warnt DIHK-Außenwirtschaftschef Dr. Volker Treier. Und ergänzt: „Wenn Unternehmen zunehmend ins Ausland abwandern, weil hohe Energiekosten, lähmende Bürokratie und eine steigende Steuerlast ihnen hierzulande die Luft abschnüren, ist das ein gefährliches Signal.“
Erste Maßnahmen verabschiedet
Die neue Bundesregierung hat mit einem Gesetz für ein steuerliches Investitionssofortprogramm, dem sogenannten Wachstumsbooster, Ende Juni bereits erste Maßnahmen beschlossen – etwa degressive Abschreibungen für die Abnutzung von Maschinen und Geräten (AfA) in Höhe von bis zu 30 Prozent, die schrittweise Senkung des Körperschaftsteuersatzes ab 2028 um jährlich einen Prozentpunkt von derzeit 15 auf 10 Prozent, die Abschreibung für betrieblich angeschaffte Elektrofahrzeuge oder die Förderung von Investitionen in die Forschung.
Doch viele Unternehmerinnen und Unternehmer empfinden diese Maßnahmen als zu spät und zu wenig durchgreifend. Ob Investitionsgipfel und Wachstumsbooster die richtigen Impulse für die hiesige Wirtschaft setzen, hängt von vielen Faktoren ab: geopolitischer Stabilität, Energiepreisen, Fachkräften, Digitalisierungstempo, Marktchancen. Kanzler Merz gibt sich dennoch kämpferisch: „Unser Land ist einer der attraktivsten Investitionsstandorte der Welt.“ Trotzdem stellt sich für Unternehmerinnen und Unternehmer eine zentrale Frage: Ist jetzt der richtige Moment, sich zu engagieren? Die Zinsen bewegen sich auf einem hohen Niveau, die Finanzierung von Großprojekten ist anspruchsvoller geworden, gleichzeitig schwächelt die Binnennachfrage, und die geopolitische Lage bleibt angespannt.
Aber: Wer jetzt investiert, positioniert sich für die Zukunft. Besonders in den Sektoren Digitalisierung, Dekarbonisierung, Automatisierung und neue Geschäftsmodelle entstehen aktuell die Wachstumsmärkte von morgen. Es ist daher kein Zufall, dass die wenigen positiven Ausnahmen vor allem in Forschung, Software oder Datenbanken zu finden sind. Hier lagen die Investitionen zuletzt rund 15 Prozent über dem Vorkrisenniveau. Wer also in Know-how, Patente, Plattformen oder KI-basierte Produkte investiert, sichert sich nicht nur Marktanteile, sondern auch Zukunftsfähigkeit.
Ein Blick auf die Praxis zeigt, wie deutsche Mittelständler mit internationalem Fokus aktuell auf die bestehenden strukturellen Schwächen im Inland reagieren: Die Immobiliengruppe Dahler etwa, spezialisiert auf Premiumwohnimmobilien, setzt trotz eines gedämpften Marktes in Deutschland auf internationales Wachstum. Im Frühjahr 2025 gab das Unternehmen bekannt, in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) Fuß fassen zu wollen – ein Schritt, der bewusst gewählt wurde. „Dubai ist ein florierender Markt mit großer internationaler Nachfrage und hoher Transaktionsgeschwindigkeit“, so Unternehmensgründer Björn Dahler. Für ihn und sein Unternehmen ist die Expansion ein strategischer Schritt – und ein Signal. Denn es zeigt: Wer wachsen will, muss heute über Deutschland hinausdenken. Wer zu lange wartet, verliert den Anschluss und verpasst wichtige Chancen. Auch andere deutsche Unternehmen wie Gebr. Heinemann gehen in die Wüste (siehe Interview Seite 13). Weil Dubai mit einzigartigen Standortbedingungen und Steuervorteilen lockt.
Update für den Standort Deutschland
Fakt ist: Der Standort Deutschland braucht ein Update – nicht in Form neuer Slogans, sondern durch konkrete, spürbare Verbesserungen für Unternehmen. Die über Jahre gewachsene regulatorische Dichte wirkt in vielen Branchen lähmend. Genehmigungsverfahren dauern oft Monate, manche sogar Jahre. Wer investieren will, braucht jedoch Tempo und Verlässlichkeit – zwei Dinge, die Deutschland bislang zu selten garantiert. Ein effizienterer Staat muss nicht zwingend ein schlankerer sein, wohl aber ein entschlossenerer und insbesondere digital besser organisierter. Digitalisierung kann ein zentraler Hebel sein, um Verfahren zu beschleunigen und Planbarkeit zu verbessern. Das sieht auch Dr. Karsten Wildberger (CDU) so, der erste Bundesdigitalminister Deutschlands: „Als Digitalminister ist es mein Ziel, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Deutschland als wettbewerbsfähiger und innovativer Digitalstandort wächst. Dafür braucht es einen modernen, effizienten und bürgernahen Staat und eine Verwaltung, die digital denkt und handelt.“
Wandel braucht Mut – und Kapital
Deutschland steht jetzt an einem Kipppunkt: Die Investitionsschwäche der vergangenen Jahre war nicht unausweichlich, sondern Folge falscher Prioritäten, zu großer Vorsicht und politischer Halbherzigkeit. Der Investitionsgipfel könnte der Anfang einer Wende sein – wenn er nicht bei Symbolpolitik stehen bleibt. Es liegt nun an Politik und Wirtschaft gemeinsam, den Investitionsstau aufzulösen. Unternehmerinnen und Unternehmer sind keine Bittsteller, sondern Mitgestalter. Wer investiert, gestaltet – sein Unternehmen, seinen Markt, den Standort Deutschland. Die Chancen sind da, aber die Zeit drängt.


