Ein Fußballspiel dauert 90 Minuten – doch das Geschäft mit der Fußballbundesliga läuft rund um die Uhr. Wer die Fans in über 200 Ländern erreichen will, muss heute weit mehr bieten als das Spiel selbst. „Wir sind nicht nur Liga-Organisator, sondern auch Medienproduzent, Datenveredler und Technologietreiber“, sagt Dr. Steffen Merkel. Er ist gemeinsam mit Dr. Marc Lenz einer der beiden Geschäftsführer der DFL.
Die Organisation versteht sich längst als hybrides Sport-, Medien- und Tech-Unternehmen mit klarem Anspruch: internationale Wettbewerbsfähigkeit auch durch Innovation. Im Zentrum steht eine Technologie, die noch vor wenigen Jahren als Zukunftsmusik galt: Künstliche Intelligenz (KI). In der Bundesliga ist sie längst produktiv im Einsatz. Was sich für viele Unternehmen noch nach Pilotprojekt anhört, ist bei der DFL integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette. „Gerade im internationalen Markt wäre ohne KI ein so individuelles Produkt gar nicht mehr herzustellen“, betont Merkel. Denn in Märkten wie Japan, Brasilien oder Mexiko fehlt es an Redaktionen, die Inhalte eigenständig lokalisieren könnten. Die DFL übernimmt das – automatisiert, skalierbar, in Echtzeit.
Medienproduktion im Takt des Algorithmus
Ein japanischer Sender wünscht sich ein Video mit allen Szenen japanischer Spieler vom Bundesligaspieltag. In Brasilien interessieren sich Fans für alle Tore brasilianischer Spieler. Solche Clips erstellt die DFL heute teils automatisiert – mithilfe KI-gestützter Tools, die Bildmaterial mit Trackingdaten verknüpfen. „Wir reichern das Bewegtbild mit den Spieldaten an. Die KI erkennt so nicht nur relevante Szenen, sondern schneidet sie auch marktgerecht zusammen“, erläutert Merkel. Das ist Contentproduktion à la Bundesliga – datengetrieben, personalisiert, internationalisiert.

Mit dem Produkt „Bundesliga Stories“ hat die DFL zudem ein Format geschaffen, das speziell auf die Sehgewohnheiten jüngerer Zielgruppen zugeschnitten ist. In der Bundesliga-App finden sich kurze, swipebare Storyformate, die mithilfe generativer KI aus redaktionellen Texten erstellt werden. Die Inhalte sind leicht konsumierbar, visuell aufbereitet, mobile first. „Seit dem Start im Oktober produzieren wir rund 400 Storys pro Monat – und sehen eine Verdopplung der Verweildauer in der App“, berichtet Merkel.
Echtzeitdaten aus 16 Kameraperspektiven
Hinter diesen Anwendungen steht eine Dateninfrastruktur, die beispiellos im internationalen Vergleich ist. In jedem Stadion sind 16 bis 20 Spezialkameras installiert, die ausschließlich der Datenerfassung dienen. Sie tracken Spieler und Ball 25-mal pro Sekunde – das ergibt 3,6 Millionen Datenpunkte pro Spiel. Diese fließen in Echtzeit in die Systeme der DFL und werden dort analysiert, visualisiert und publiziert – unter anderem als „Bundesliga Match Facts“, die Live-Übertragungen ergänzen und Erzählräume öffnen: Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Tores? Wie schnell war der Spieler? Wie viele Expected Goals hatte ein Team wirklich?
Die Verarbeitung dieser Daten erfolgt in Sekundenschnelle – gestützt auf eine serverlose Architektur von Amazon Web Services (AWS), dem strategischen Technologiepartner der DFL. Der Schulterschluss mit AWS wird innerhalb der Branche mit Interesse beobachtet: Anders als in klassischen B2B-Beziehungen entwickeln beide Seiten gemeinsam Produkte. „Das ist eine echte Partnerschaft“, betont Merkel. Man arbeite kollaborativ, oft tageweise im Co-Creation-Modus. Kürzlich wurde die strategische Partnerschaft nochmal verlängert.
KI im Dienst des Spiels – nicht anstelle des Spiels
Die technologische Tiefe, mit der die DFL operiert, wirft auch kritische Fragen auf. Droht ein Verlust von Authentizität? Wird der Fußball zur Simulation? Merkel hält dagegen: „Unsere Linie ist klar – wir nutzen KI zur Verbesserung des Fanerlebnisses, aber niemals als Ersatz für das Spiel.“ Ein KI-generiertes Video, in dem Harry Kane ein nicht reales Bundesligator schießt, wird es von offizieller Seite nicht geben. „Wir zeigen, was auf dem Platz passiert – und nur das.“
Dabei geht es nicht nur um mediale Anwendungen. Auch im Bereich der Spielanalyse wird KI immer relevanter: Trackingdaten erlauben heute die Erfassung einzelner Körperteile – ein entscheidender Fortschritt für die Entwicklung von Technologien wie der halbautomatischen Abseitserkennung, die kurz vor dem Einsatz in der Bundesliga steht. Die FIFA hat sie bereits erprobt. „Das ist keine Entmachtung des Schiedsrichters“, sagt Merkel. „Aber es ist eine präzisere, schnellere Entscheidung – im Sinne der Fans und der Fairness.“
Ähnlich sieht es bei Stadiondurchsagen nach VAR-Entscheidungen aus, die jüngst getestet wurden. Ziel ist es, das Geschehen transparenter zu machen – sowohl für das Publikum im Stadion als auch für das vor dem Fernseher. Dass dies technisch komplex ist, liegt auf der Hand: Das Live-Signal wird in über 200 Länder ausgespielt, Übersetzungen müssen integriert, Tonspuren synchronisiert werden. Doch das Projekt schreitet voran – mit positiver Resonanz aus den Reihen der Fans.
Technologisches Unternehmertum
Die Innovationskraft der DFL basiert auf einer Besonderheit: Sie hat sich in den zurückliegenden Jahren eine vertikal integrierte Struktur aufgebaut, die von der Datenerhebung über die TV-Produktion bis hin zur Content-Entwicklung reicht. „Wir sind die weltweit einzige Liga, die die komplette Wertschöpfungskette selbst abdeckt“, sagt Merkel. Das erlaube einerseits Tempo in der Entwicklung und andererseits Kontrolle. Nur wer die Prozesse verstünde, könne laut Merkel die Technologie bewusst steuern, statt von ihr gesteuert zu werden.
Ein Schaufenster dieser Entwicklung ist die alle zwei Jahre stattfindende Messe „SportsInnovation“, eine Art Labor für Zukunftstechnologien im Profifußball. Unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit werden im Frühjahr 2026 dort wieder Testspiele durchgeführt, in denen Technologiepartner in Echtzeit ihre Lösungen einspielen können. Bei der letzten Ausgabe 2024 war die Bundesliga die erste Liga weltweit, die ein Spiel live auf der Apple Vision Pro, einem Mixed-Reality-Headset, übertrug. Ein Symbol für technologischen Pioniergeist – und eine klare Botschaft an die Wettbewerber aus England und Spanien.
Wir sind nicht nur Liga-Organisator, sondern auch Medienproduzent, Datenveredler und Technologietreiber
Dr. Steffen Merkel, Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga
Zwischen Globalisierung und Lokalisierung
Denn international ist der Wettbewerb härter geworden. Die Premier League profitiert von der globalen Reichweite des Englischen, La Liga von Weltstars und der Sprachmacht des Spanischen. Die Bundesliga hingegen muss sich sprachlich und kulturell anpassen. Merkel sieht hier gerade in der KI neue Chancen – ein Beispiel: „Speech-to-Speech-Systeme können künftig Live-Kommentare in lokale Dialekte übersetzen – das ist ein Weg, um Sprachbarrieren zu überwinden.“
Zugleich setzt die Liga auf dezentrale Partnerschaften. Weil ein groß angelegter Investorenprozess 2023 scheiterte, fokussiert sich die DFL heute auf gezielte Kooperationen – etwa mit Relevent Sports für den US-Markt oder mit OneFootball für die digitale Distribution. In Guadalajara, Mexiko, wurde zusammen mit Relevent ein eigenes Content-Studio eröffnet, um Inhalte für den lateinamerikanischen Markt vor Ort zu produzieren. Auch hier spielt Künstliche Intelligenz eine Rolle: Sie ermöglicht skalierbare Produktion mit begrenzten Ressourcen.
Technologie trifft Tradition – ohne Widerspruch
Doch was bedeutet all das für die Fankultur? Für Merkel ist klar, dass Innovationen eine Ergänzung sind, kein Ersatz: „11 gegen 11, 90 Minuten – das Spiel bleibt immer der Kern. Aber die Art und Weise, wie dieses Spiel verfolgt werden kann, entwickelt sich rasant weiter. Wir wollen Fans aller Generationen ein passendes Angebot machen.“ Widerstand seitens der 36 Profifußballvereine, die in der DFL organisiert sind, gebe es kaum – auch nicht bei traditionsbewussten Vereinen wie dem FC St. Pauli oder Union Berlin. Man arbeite eng zusammen, diskutiere ethische Leitplanken, entwickle Standards gemeinsam.
Technologie allein reiche aber nicht, so Merkel. „Sie darf kein Selbstzweck sein. Jede Innovation muss auch wirtschaftlich tragfähig sein und die Bundesliga voranbringen.“ Dass dies gelingt, zeigen die Ergebnisse: steigende Nutzerzahlen in der App, wachsende Reichweiten auf internationalen Plattformen, stabile Erlöse bei der Rechtevergabe – trotz eines herausfordernden Medienmarkts. Die Bundesliga steht also nicht vor der Entscheidung zwischen Technik und Tradition. Sie entscheidet sich für beides. Mit einem klaren Ziel: Fußball zu zeigen, wie er sein sollte – und dabei im internationalen Wettbewerb technologisch immer einen Schritt voraus zu sein.


