Kolumne

Digitales Estland

Was kann Deutschland vom Digitalen Estland lernen?

Dass Deutschland von Estland etwas lernen kann, ist nicht neu. Neu dürfte allerdings sein, dass Estland durch das „Personal Government“ versucht, seine Vorreiterrolle weiter auszubauen. Das bedeutet konkret, dass der Staat seine Bürger informiert, wenn der Personalausweis abgelaufen ist.

Das Bild zeigte eine PC-Tastatur mit einer Estlandflagge und einer Digital Taste

23.06.2025

Die Steuererklärung klappt in wenigen Minuten, und bei Neugeborenen wird das Kindergeld direkt ausgezahlt, statt erst mal einen Antrag zu stellen. In Zeiten von Fachkräftemangel, demografischem Wandel und steigenden Kosten steht das deutsche Gesundheitswesen unter erheblichem Druck. Ein zentraler Hebel zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung ist dabei die Digitalisierung. Doch während hierzulande die elektronische Patientenakte, E-Rezepte oder digitale Terminvergabe nach wie vor eher langsam vorankommen, zeigt Estland, wie ein digital integriertes Gesundheitssystem funktionieren kann. Der kleine baltische Staat gilt international als Vorreiter.

Digitalisierung als Hebel gegen den Druck im Gesundheitssystem

Estland hat bereits kurz nach der Unabhängigkeit in den 1990er-Jahren auf Digitalisierung gesetzt. Heute sind die Rezepte digital, Patientenakten vollständig elektronisch und für die Patienten wie Ärztinnen und Ärzte zentral zugänglich. Über das „X-Road“-System sind alle relevanten Gesundheitsdaten vernetzt, während die Datenhoheit stets bei den Patienten bleibt. Jede und jeder hat Zugriff auf die eigenen Gesundheitsdaten, kann Behandlungsverläufe einsehen oder bestimmten Ärzten Zugriffsrechte erteilen – oder entziehen. Datenschutz wird dabei großgeschrieben: Alle Datenzugriffe sind transparent protokolliert und für den Patienten nachvollziehbar. Im Vergleich dazu wirkt Deutschland eher als nationales Bekenntnis zur Rückständigkeit. Hinzu kommt eine tief verwurzelte Misstrauens- statt Vertrauenskultur gegenüber digitalen Innovationen.

David Matusiewicz ist Professor für Medizinmanagement an der FOM Hochschule.Seit 2015 verantwortet er dort als Dekan den Hochschulbereich Gesundheit & Soziales undist einer der renommiertesten Experten für Digital Health in Deutschland

Estlands Erfolgsrezept: Vernetzung, Transparenz, Datenschutz

Deutschland kann von Estland viel lernen: erstens in Bezug auf eine konsequente politische Strategie. Digitalisierung wurde in Estland nie als Option, sondern als Notwendigkeit begriffen – mit klaren Zielvorgaben und verbindlichen Zeitplänen. Zweitens in der Nutzerzentrierung: Die digitale Infrastruktur wurde für die Bürger entwickelt, nicht um bürokratische Prozesse zu digitalisieren. Drittens in der Interoperabilität: Alle Systeme kommunizieren miteinander, was eine durchgängige digitale Patientenreise ermöglicht. Schlüsselfaktoren sind das Vertrauen in staatliche digitale Lösungen und spürbarer Alltagsnutzen. Im aktuellen Koalitionsvertrag geht es nur um beschriebene vage Vorhaben. Ich finde: Die Genesung der Bürger darf nicht an digitaler Trägheit scheitern.