DUP UNTERNEHMER-Magazin: Überall ist von Künstlicher Intelligenz, kurz KI, die Rede. Wo liegen für Sie die größten Chancen und Risiken für Deutschland und Europa?
Rolf Schumann: KI ist keine Zukunftstechnologie mehr, sie ist längst da. Wir erleben gerade keine Hype-Phase, sondern eine neue industrielle Revolution. Diese Technologie kann Datenschätze heben, die mit klassischen Werkzeugen unzugänglich waren. In allen Prozessen, in allen Abläufen steckt Potenzial, das wir bisher gar nicht sehen. Deshalb sage ich: KI wird das Leben verändern – gesellschaftlich wie wirtschaftlich.
Europa gilt dennoch als Nachzügler im KI-Rennen. Sehen Sie das auch so?
Schumann: Überhaupt nicht. Wir haben in Europa etwas, das man in den USA und China nicht in dieser Form findet: Daten mit enormer inhaltlicher Tiefe. Der komplette deutsche Mittelstand steckt voller Wissen – und dieses Wissen liegt in Daten. Wenn wir lernen, diese Daten intelligent zu nutzen, können wir auf Augenhöhe agieren. Hinzu kommen erstklassige Talente und ein Bildungssystem, das weltweit Maßstäbe setzt. Das ist der Rohstoff, den KI braucht – und den haben wir hier.
Sie sprechen oft von „digitaler Souveränität“. Was bedeutet das konkret für ein Unternehmen wie die Schwarz Gruppe?
Schumann: Souveränität heißt für mich, Entscheidungen unabhängig und nach unseren eigenen Werten treffen zu können. Wir haben in der Schwarz Gruppe fast 595.000 Beschäftigte und ein Ökosystem aus Zehntausenden Partnern. Wenn wir uns dabei vollständig von amerikanischen Hyperscalern abhängig machen, verlieren wir die Fähigkeit, eigenständig zu handeln. Deshalb bauen wir mit Schwarz Digits eine europäische Alternative auf – mit eigenen Cloud- und Cybersecurity-Lösungen. Nicht aus Größenwahn, sondern aus Verantwortung gegenüber Mitarbeitenden, Partnern und Kunden.
Das klingt nach einem klaren Gegenentwurf zu Amazon, Google oder Microsoft.
Schumann: Ja, aber nicht, weil wir sie angreifen wollen. Sondern weil wir unsere Werte und Daten schützen müssen. Die amerikanischen Unternehmen haben ein anderes Verständnis von Datenschutz – dort entscheidet das Unternehmen, was mit Daten geschieht. In Europa gehören die Daten dem Menschen. Wir müssen dieses Prinzip bewahren und zugleich Innovation ermöglichen. Es geht um einen europäischen Weg der Digitalisierung, der Freiheit, Transparenz und Selbstbestimmung verbindet.
Wie lassen sich Regulierung und Innovationskraft in Einklang bringen?
Schumann: Regeln sind notwendig, um Vertrauen zu schaffen. Aber Überregulierung ist Gift für Innovation. Wir brauchen Spielregeln, nicht Fesseln. Der entscheidende Punkt ist: Wir dürfen KI nicht kaputtregulieren, bevor wir verstanden haben, welchen Nutzen sie für den Menschen stiften kann. Wenn wir einen Rahmen schaffen, der Verantwortung ermöglicht statt lähmt, wird Europa in diesem Feld vorn mitspielen.
Viele Mittelständler zögern noch, weil sie Angst vor Kontrollverlust haben. Was raten Sie ihnen?
Schumann: Ich sage: Mut. Vertraut euren eigenen Daten. Der Mittelstand hat unglaubliche Datenschätze, die bisher brachliegen. Wenn man die heben will, braucht es keine Abhängigkeit von Dritten, sondern eigene Kompetenzen. Wer seine Daten versteht, kann daraus Wertschöpfung generieren – und zwar souverän, unabhängig und auf Basis europäischer Werte. Genau das ist der Kern unserer Initiative mit Schwarz Digits.
Ist Künstliche Intelligenz also vor allem ein Wettbewerbsthema?
Schumann: Absolut. Die industrielle Revolution der Dampfmaschine hat Muskelkraft ersetzt, Künstliche Intelligenz ersetzt heute kognitive Routinen. Der Unterschied: Dieses Mal betrifft es alle Branchen gleichzeitig – von der Verwaltung über die Bildung bis zur Industrie. Wer das versteht, kann seine Organisation auf ein neues Niveau heben. Denn KI nimmt Standardarbeit ab und schafft Raum für Kreativität und strategisches Denken. Das ist keine Bedrohung, das ist ein Produktivitätsmotor.
Trotzdem erleben wir viel Skepsis in Deutschland. Woran liegt das?
Schumann: Das ist Teil unserer Kultur. Wir investieren mehr Energie in das Verhindern von Veränderung als in ihre Gestaltung. Erst wenn etwas nicht mehr aufzuhalten ist, setzen wir alles daran, an die Spitze zu kommen. Aber die Welt dreht sich heute schneller. Wenn wir weiter zögern, riskieren wir, im globalen Wettbewerb abgehängt zu werden. Ich glaube fest daran, dass wir das Ruder noch herumreißen können. Aber nur, wenn wir handeln.
Was bedeutet das für die Politik? Braucht Deutschland einen Masterplan für KI?
Schumann: Nein. Wir brauchen keinen Plan, wir brauchen Mut zum Handeln. Die Politik kann Rahmenbedingungen und Infrastruktur schaffen. Und das tut sie gerade. Entscheidend ist, dass Unternehmerinnen und Unternehmer den nächsten Schritt gehen. Wir haben Talente, Kapital und eine starke industrielle Basis. Was fehlt, ist oft die Bereitschaft, alte Denkmuster zu verlassen. Zu lange am Bestehenden festzuhalten, das ist eine Bankrotterklärung.
Sie sprechen von Daten als neuem Rohstoff. Was meinen Sie damit?
Schumann: Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts – aber mit einem entscheidenden Unterschied: Sie wachsen nach. Wir haben erst einen Bruchteil des Potenzials gehoben. Daten lassen sich immer wie-
der neu verwenden, verknüpfen und veredeln. Daraus entsteht Wertschöpfung. Deshalb sage ich: Data is the new code. Der neue Code für Wohlstand entsteht aus Daten – in Verbindung mit Talent und Bildung. Wenn Europa das versteht, müssen wir keine Angst vor der Zukunft haben.
Denken Sie bei alldem manchmal: Denke ich an Deutschland in der Nacht …?
Schumann: … dann sehe ich eine großartige Zukunft. Wir haben alles, was wir brauchen: Wissen, Technologie, Werte und den größten Binnenmarkt der Welt. Wir müssen nur anfangen, unsere Chancen zu nutzen.


