Bitte hört endlich auf, KI-Tools zu testen!“, möchte ich den Teilnehmenden meiner KI-Webinare manchmal zurufen. Es gibt weltweit inzwischen weit mehr als 10.000 KI-Tools. Der Versuch, die Tools von obskuren Empfehlungslisten zu testen, gleicht dem Versuch, schnellstmöglich ins Silicon Valley zu fliegen, indem ich alle Segelflieger auf dem örtlichen Regionalflughafen durchteste. Das ist albern – und amateurhaft.Wer dagegen seine KI-Strategie von Experten erstellen lässt, wird sehr bald feststellen, dass diese sich sicher sind: Die Zukunft von Künstlicher Intelligenz sind Agentensysteme. Deshalb möchte ich von einem Deep-Dive-Interview mit dem ehemaligen Director AI von Facebook berichten. Hassan Sawaf heißt er und ist für mich einer der lohnenswertesten Gesprächspartner zur nahen Zukunft der KI.
Was genau sind KI-Agenten – und wie arbeiten sie?
Hassan hat in Aachen studiert und ging danach als Head of AI zu Ebay und Amazon. Schon 2015 hat er Chatbots für Ebay programmiert. Heute liefern Large Language Models (LLMs) den Kontext, der KI-Agenten befähigt, Absichten zu verstehen, Unteraufgaben zu planen und Ergebnisse zu liefern. Die Bot-Ökonomie ist längst real.
KI-Tools werden abgelöst
durch Teams von digitalen Agenten
Wenn Hassan Sawaf über einen KI-Agenten redet, klingt dies wie eine Beschreibung eines fleißigen, emotionslosen, rationalen Teammitglieds: „Ein Agent bündelt Fähigkeiten, Ziele und Vorwissen, zerlegt Aufgaben, nutzt Werkzeuge wie Kalender oder Datenbanken und greift auf ein Kurz- wie Langzeitgedächtnis zu. Er denkt laut, reflektiert Zwischenschritte und korrigiert sich, bis die Aufgabe erledigt ist.“ Doch die Zukunft der KI ist nicht ein Agent, es sind Agentenschwärme.
Der Mentalist, der Orchestrator, der Inspektor
Stellen wir uns vor: Zehn bis 15 solcher KI-Agenten arbeiten zusammen im Team, so wie Menschen. Der Hauptagent ist der Dirigent. Hassan nennt ihn den „Mentalisten“. Dieser führt den Dialog mit dem Menschen, stellt Rückfragen, bis er die Aufgabenstellung verstanden hat. Dann zerlegt er die Aufgabe in Teilaufgaben, erstellt einen Plan und leitet ihn weiter an den nächsten KI-Agenten. Dieser ist ein spezialisierter Projektmanager und wählt aus, welche Teilaufgabe von welchem weiteren Spezialagenten erledigt werden soll. Hassan nennt ihn den „Orchestrator“. Er baut und koordiniert den Projektablauf, beauftragt Spezial-KIs und beachtet Kosten sowie die Lizenz. Ein teures LLM wird nur dort genutzt, wo es nötig ist. So sinken Rechenkosten und Antwortzeiten.
Der KI-Marktplatz der Zukunft: 40.000 Agenten im Einsatz
In Hassan Sawafs neuer KI-Firma „Aixplain“ gibt es inzwischen einen Marktplatz von mehr als 40.000 Spezial-KI-Agenten, die auf die Erledigung spezieller Teilaufgaben trainiert sind. Nach getaner Arbeit leiten sie ihre Ergebnisse wieder an den Orchestrator zurück. Dieser prüft, ob die jeweilige Teilaufgabe erfüllt wurde, fasst die Bausteine zu einem Ergebnis zusammen und leitet dieses weiter an einen weiteren KI-Agenten, den „Inspektor“. Dieser ist ein Qualitätsprüfer, er prüft auf Benchmarks, Compliance und Policy-Checks. Und er stellt fest, ob das Ergebnis wirklich eine Antwort auf die Aufgabenstellung darstellt. Dann geht es zurück zum Mentalisten, der für die Ausgabe an den Menschen sorgt.
Auf diese Weise waren mehr als zehn AI-Agenten an der Aufgabenlösung beteiligt. Das Ergebnis schlägt die bisherigen KI-Tools um Größenordnungen. Auch menschliche Personen kann man in diese Teams einbinden. Sie können dann Probleme lösen, bei denen die KI nicht weiterkommt. Hier arbeiten also Mensch und Maschine im Grunde Hand in Hand. Damit wären wir bei den „human-digitalen Teams“, die wir Zukunftsforscher schon in unserer 2020er-Studie für den Massenmarkt im Jahr 2030 prognostiziert haben.
Wann kommen diese KI-Teams?
Die ehrliche Antwort ist: Sie sind schon unter uns. Große Versicherungskonzerne bewältigen damit inzwischen Hunderttausende Schadenfälle. Die AI-Agententeams sammeln Daten, schätzen Reparaturkosten, vergleichen Angebote. Finance-AI-Teams erstellen Reports in Minuten, ein Nurse-AI-Team triagiert Patienten, ein juristisches AI-Agenten-Team durchsucht 180 Millionen Fälle.
Das Jahr 2025 ist noch den Early Adopters vorbehalten. Sie integrieren heute schon Agententeams in ihre Kernprozesse. Hassan Sawaf rechnet für 2026/27 mit der Skalierung, 2027/28 mit der Standardisierung und Regulierung und ab 2029 mit der Allgegenwärtigkeit von KI-Agententeams. Damit liegt er ziemlich präzise auf der Prognoselinie von uns Zukunftsforschern.
In unseren KI-Studien haben wir schon seit 2018 die „Bot-Economy“ beschrieben. Jede dieser Phasen bringt effizientere Abläufe und neue Geschäftsideen. Bis 2030 entwickeln sich auf diese Weise neue Geschäftsmodelle: Wer saubere Daten besitzt, bietet sie als Service an. Andere steuern Agenten bei. Die 40.000 heutigen Agenten auf Hassans Plattform stammen von 60 unterschiedlichen Anbietern, darunter Größen wie Google, Amazon, Meta oder OpenAI. Dieses Geben und Nehmen lässt ein Ökosystem entstehen, in dem niemand allein den Wert abschöpft, sondern in dem Innovation zirkuliert.
Wie weit ist es von AI-Agenten
noch bis zur AGI?
Wird sich KI weiterentwickeln, sodass sie zu einer menschenähnlichen universellen Intelligenz, einer Artificial General Intelligence (AGI), wird? Selbstverständlich! Wir sollten uns nur kein monolithisches KI-Monster darunter vorstellen, sondern ein Netzwerk von Abertausenden KI-Agenten, orchestriert von einem Superagenten. Auf diese Weise kann Künstliche Intelligenz nach Hassans Schätzung innerhalb der kommenden zehn Jahre übrigens 80 Prozent der heutigen menschlichen beruflichen Tätigkeiten übernehmen. Es bleiben 20 Prozent für die Menschen übrig – für spannende und ansprechendere Aufgaben, ohne Routinen.