Im All zählt jeder Handgriff. Entscheidungen müssen sitzen, denn eine zweite Chance gibt es nicht. Carmen Köhler, Physikerin, Analog-Astronautin und Gründerin des KI-Start-ups P³R, kennt diese Realität aus eigener Erfahrung. „Mut ist, wenn man seine Ängste überwindet“, sagt sie. Und sie überträgt dieses Prinzip konsequent auf die Wirtschaft, für die Space-Tech auch finanziell lukrativ ist.
Kreativität, Eigenverantwortung und Innovationskraft stärkt Carmen Köhler, die neben ihrer CEO-Rolle auch Analog-Astronautin des Österreichischen Weltraum Forums ist, indem sie Fehlerkultur aktiv fördert und Räume schafft, in denen Mitarbeitende Neues ausprobieren dürfen. „Ohne Angst, sondern mit Neugier.“ Köhler weiß, wovon sie spricht. In ihrem Start-up P³R nutzt sie Verfahren, die in der Raumfahrt erprobt wurden: „Wir arbeiten mit Satellitendaten, Messungen und Wettervorhersagen – Methoden, die aus der Raumfahrt stammen und uns helfen, komplexe Zusammenhänge verständlich zu machen.“ Für sie liegt die Stärke dieser Technologien in der Übertragbarkeit: „Die Raumfahrt lehrt uns Präzision, Zuverlässigkeit und kontinuierliches Lernen.“ Genau diese Prinzipien lassen sich auch auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) im Mittelstand übertragen, so die Raumfahrtexpertin.

„KI“, sagt Köhler, sei „keine Magie, sondern ein Werkzeug, das man für seine eigenen Zwecke einsetzen kann, um echten Mehrwert zu schaffen“. Entscheidend seien „der Mut und die Offenheit für Veränderung und auch, mal unkonventionelle Wege zu gehen“. Denn, so Köhler wörtlich: „Wie im All gilt auch hier: Man hat nicht immer eine zweite Chance.“
Mars-Mentalität und Wettrennen um den Weltraum
Diese Haltung passt zur Raumfahrtbranche, neudeutsch auch Space-Tech genannt, die sich gerade fundamental wandelt. Laut einer Analyse von DNB Asset Management sind inzwischen „über 75 Prozent der Branche kommerziell geprägt“. Das norwegische Investmenthaus spricht von einem „neuen Weltraumrennen“. Jedoch nicht nur zwischen Staaten, sondern vor allem zwischen Unternehmen. Der Markt wachse rasant, weil die Raumfahrt zunehmend stabile Cashflows generieren könne. Unternehmen würden deshalb heute „profitable Geschäftsmodelle im All schaffen – mit Satelliten, Daten und Kommunikationstechnologien, deren wirtschaftlicher Nutzen auf der Erde realisiert wird“.
Für Köhler beginnt Mut im Führungsverhalten – nicht in großen Strategien, sondern im Alltag. „Mutige Feedbackrunden etablieren – regelmäßige Reflexionsformate, in denen auch Führungskräfte offen über Herausforderungen und Lernfelder sprechen“, sagt sie. Genau darin liege für sie der Unterschied zwischen formaler und echter Führungskultur. „Das baut Vertrauen auf und zeigt, dass Mut auch bedeutet, Verletzlichkeit zuzulassen und authentisch zu sein.“ Solche Formate, erklärt Köhler, gingen „weiter als traditionelle Lessons-Learned-Runden, da man tief in die Unternehmenskultur geht“.
Künstliche Intelligenz ist keine Magie, sondern ein Werkzeug, das man für seine eigenen Zwecke einsetzen kann, um echten Mehrwert zu schaffen
Carmen Köhler, P³R
Die Wissenschaftlerin verknüpft technische Präzision mit sozialer Intelligenz. Entscheidungen, sagt sie, müssten „nicht nur auf Basis von Sicherheit, sondern aus innerer Überzeugung heraus gefällt werden, auch wenn Risiken bestehen“. Das signalisiere Richtung und könne das Team inspirieren, selbst mutig und innovativ zu handeln.
Das Prinzip der Ressourcenknappheit aus der Raumfahrt überträgt Köhler direkt auf das Thema Nachhaltigkeit. „Im Weltall herrscht per Definition Ressourcenmangel – und genau das macht es spannend“, erklärt sie. „Man lernt schnell, wie wenig man im Alltag eigentlich wirklich braucht und wie Innovation helfen kann, mehr aus den vorhandenen Ressourcen herauszuholen.“ Während einer Mission habe ihr Team beispielsweise eine „Aerosol-Dusche, die mit minimalem Wasserverbrauch funktioniert“, genutzt. Ihre Schlussfolgerung: „Mit einer ‚Mars-Mentalität‘, also bewusst, sparsam und systemisch zu handeln, können Unternehmen in Zeiten knapper Ressourcen und wachsender Umweltanforderungen resilienter und nachhaltiger werden.“
Space-Tech bietet massives Umsatzpotenzial
Die Entwicklung des Space-Tech-Markts unterstreicht diesen Anspruch. Unternehmen wie SpaceX, AST SpaceMobile oder Spire definieren derzeit die Branche neu. SpaceX betreibt laut DNB mehr als „7.000 LEO-Satelliten“ und erzielte 2024 „einen Umsatz von 4,2 Milliarden US-Dollar“. Allein der Satelliten-Internetdienst Starlink zähle derzeit mehr als fünf Millionen Kundinnen und Kunden. Mittelfristig peile das Unternehmen bis zu 50 Millionen Nutzende an – mit einem Umsatzpotenzial von bis zu 70 Milliarden US-Dollar. Der geschätzte Unternehmenswert lag Ende Oktober bei 350 Milliarden US-Dollar, also rund dem Dreifachen des Börsenwerts des norwegischen Ölkonzerns Equinor.
Doch beim Thema Space-Tech geht es nicht nur um Raketenstarts. Die neuen Raumfahrtakteure liefern Datengrundlagen für zum Beispiel Energie, Logistik und Landwirtschaft. Auch im Mittelstand können sie die Grundlage für Effizienzgewinne bilden: Wer beispielsweise satellitengestützte Messungen oder Wettermodelle nutzt, kann Prozesse robuster und nachhaltiger gestalten. Die Unternehmen müssten das nur erkennen. Für Köhler ist klar: „Mut, Neugier und Technologie sind gemeinsam der Treibstoff der Zukunft.“


