Gastbeitrag

Pflege der Zukunft

Wenn Roboter Menschlichkeit ermöglichen

Die Vorstellung, von einem Roboter gepflegt zu werden, löst bei vielen zunächst Unbehagen aus. Kein Wunder – Pflege assoziieren wir mit Nähe, Vertrauen und menschlichem Kontakt. Doch was, wenn genau diese Technologie uns ermöglicht, länger selbstbestimmt zu Hause zu leben? Menschzentrierte Robotik stellt nicht die Maschine in den Mittelpunkt, sondern den Menschen. Und genau das könnte die Pflege von morgen entscheidend verändern.

Dr. Katharina Weitz mit einem Pflegeroboter

09.07.2025

Autonomie überzeugt mehr als Technik

„Möchten Sie von einem Roboter gepflegt werden?“ Viele werden spontan abwehrend antworten: „Auf keinen Fall! Dann habe ich keinen Kontakt mehr zu Menschen!“ Doch wie reagieren dieselben Personen auf eine alternative Formulierung dieser Frage: „Würden Sie sich von einem Roboter pflegen lassen, wenn Sie dadurch länger unabhängig in Ihrem Zuhause leben könnten?“ – Die Antwort fällt hier oft ganz anders – deutlich positiver aus. Warum? Die zweite Formulierung spricht ein zentrales Bedürfnis an: Autonomie. Wenn Roboter die Selbstständigkeit im Alter unterstützen können, werden sie plötzlich nicht mehr als bedrohlich, sondern als hilfreich wahrgenommen.

Mensch im Mittelpunkt

Um Roboter sinnvoll in der Pflege einzusetzen, müssen solche menschliche Bedürfnisse, Erwartungen – aber auch Grenzen – von Anfang an in die Entwicklung einbezogen werden. Diese Perspektive ist Kern des Konzepts der "Menschzentrierten Künstlichen Intelligenz". In diesem Forschungsbereich geht es darum, Systeme nicht nur technisch zu optimieren, sondern sie in soziale, organisatorische und individuelle Kontexte einzubetten. Roboter agieren schließlich nicht im luftleeren Raum – sondern in komplexen Systemen, in denen Menschen eine zentrale Rolle spielen.

Wer soziale Roboter entwickeln will, muss sich daher nicht nur mit Algorithmen, sondern mit Menschen beschäftigen: den Heimbewohner:innen, ihren Angehörigen und dem Pflegepersonal. Gleichzeitig müssen sich Entwickler:innen bewusst sein, dass ihre Technologien das soziale Gefüge in unserer Gesellschaft beeinflussen – vom Alltag einzelner Personen bis hin zu gesellschaftlichen Strukturen. Mark Riedl (2019) nennt zwei zentrale Bedingungen für Menschzentrierte Künstliche Intelligenz:

  • Maschinen müssen in der Lage sein, uns zu verstehen.
  • Wir müssen in der Lage sein, Maschinen zu verstehen.

Soziale Intelligenz zählt

Schauen wir uns den ersten Punkt anhand eines Beispiels mal genauer an: Ein Pflegeroboter muss nicht nur erkennen, wer vor ihm steht – sondern auch wie er dieser Person begegnet. Er soll sie begrüßen und dabei einen angemessenen Abstand wahren. Was für uns selbstverständlich ist, muss bei einem Roboter erst definiert und dann technisch umgesetzt werden.

Die Begrüßung selbst ist eine komplexe soziale Interaktion: Soll der Roboter formell oder informell sprechen? Wie freundlich? Welche Tageszeit ist es? All das sind Faktoren, die im Vorfeld überlegt und bei der Implementierung berücksichtigt werden müssen.

Was bedeutet „angemessener Abstand“? Wir alle kennen Situationen, in denen uns Menschen zu nah kommen – das fühlt sich unangenehm an. Roboter besitzen kein Gefühl für Distanz, deshalb müssen konkrete Werte definiert werden. Der Forscher Edward Hall hat hier den Begriff „Proxemik“ geprägt. In seiner Forschung definiert er verschiedene Zonen, die die Distanz zwischen Menschen beschreibt. Die Intimdistanz beträgt ca. 15cm, die Zone der persönlichen Distanz ca. 46cm – werden diese Schutzzonen von Fremden überschritten, wird es unangenehm. Menschen reagieren mit dieser Verletzung mit Ablehnung, die sich in einem Rückzugsverhalten zeigen kann, aber auch Wut oder Aggression.

Verständliche Maschinen

Der zweite Punkt, den Riedl anspricht, ist genauso wichtig: Wir Menschen müssen verstehen, warum ein Roboter etwas tut. Nur dann ist eine vertrauensvolle Interaktion möglich. Doch moderne KI-Systeme sind oft so komplex, dass ihre Entscheidungen für Laien kaum nachvollziehbar sind. Hier setzt der Forschungsbereich der "Erklärbaren Künstlichen Intelligenz" an. Was macht eine gute Erklärung aus? Hilfreiche Anhaltspunkte liefern Erkenntnisse aus den Sozialwissenschaften, die Forscher Tim Miller (2019) zusammenfasst. Demnach sind Erklärungen…

  • Kontrastiv, d.h. Menschen fragen sich nicht: „Warum hat der Roboter mir die Schuhe gebracht?“, sondern „Warum hat der Roboter mir die Schuhe gebracht, anstatt meine Tabletten, nach denen ich gebeten habe?“
  • nicht notwendigerweise vollständig – Menschen wählen meist 1-2 Erklärungen, die sie plausibel halten – und diese Auswahl kann Verzerrungen unterworfen sein
  • sozial – sie sollten an das Vorwissen, kognitive Fähigkeiten und Persönlichkeitsaspekte des Gegenübers anknüpfen und Beziehungsaspekte müssen berücksichtig werden.

Technik die passt

In einer internationalen Verbraucherumfrage (USA, Japan, Frankreich, Deutschland) zeigt sich: Deutsche stehen KI und Robotik im Gesundheitswesen mit einem Durchschnittswert von 1,6 (auf einer Skala von -10 bis +10) leicht positiv gegenüber. 38 % der Befragten erhoffen sich durch Roboter eine Entlastung des überlasteten Gesundheitssystems. Gute Voraussetzungen also – und trotzdem sehen wir Roboter bislang nicht flächendeckend im Einsatz. Technische Herausforderungen sind zweifellos ein Faktor: Unsere Welt ist komplex, unübersichtlich und oft unvorhersehbar – ein schwieriges Terrain für Maschinen. Doch Technik allein ist nicht das Problem.

Roboter müssen in die Realität sozialer Einrichtungen eingebettet werden. Ein Beispiel: In einem Pflegeheim in Mannheim wurde der Einsatz eines Roboters in der Praxis getestet. Die Reaktionen waren gemischt. Viele Bewohner:innen freuten sich über den Roboterbesuch, aber es gab auch Bewohner:innen, die den Roboter ablehnten. Mitarbeitende beklagten: „Reden könne Oskar [der Roboter] mittlerweile zwar sehr gut, mehr aber auch nicht.“

Was fehlt häufig? Eine durchdachte Integration der neuen Technologie. Bevor eine Einrichtung einen Roboter anschafft, sollte sie sich fragen:

  • Welche Aufgaben kann der Roboter wirklich übernehmen?
  • Wo entlastet er – und wo verursacht er womöglich Mehraufwand?
  • Wie lässt sich der Roboter in bestehende Abläufe einfügen? Oder müssen wir unsere Prozesse überdenken und neue schaffen, die einen Roboter besser integrieren können?

Pflege verbessern - nicht nur investieren

„Einfach mal einen Roboter kaufen“ ist keine Lösung. Das Risiko: hohe Kosten, Frust, ungenutzte Technik – oder im schlimmsten Fall: Mehrarbeit fürs Pflegepersonal. Die Arbeit von James Wright (2019) schildert die Aussage einer Pflegekraft, die kommentiert, dass wenn eine Pflegeeinrichtung Geld für einen Roboter hat (je nach Modell kosten kleinere Roboter zwischen 7.000-20.000 Euro), der sinnvollere Schritt vielleicht wäre, anstatt den Roboter zu kaufen, die Pflegekräfte besser zu bezahlen.

Roboter allein lösen den Pflegenotstand nicht. Aber sie können Teil der Lösung sein – wenn wir sie menschzentriert entwickeln und sinnvoll einsetzen. Das bedeutet, über die Wertschätzung der Mitarbeitenden und der Rolle der Roboter und Pflegekräfte in der Pflegeeinrichtung nachzudenken. Dazu gehört neben der Einbeziehung aller Beteiligten auch die kritische Reflexion vorhandener Strukturen und Prozesse. Nur wer die eigenen Prozesse (und deren Schwachstellen) kennt, wird einen Roboter sinnvoll integrieren können. Wir schaffen heute - auch wenn wir noch Roboter momentan in Pilotprojekten und noch nicht flächendeckend einsetzen- die Grundlagen und Maßstäbe, an denen sich zukünftige Robotergenerationen messen müssen.

Roboter sind kein Ersatz für Menschen. Aber sie könnten ihnen die Arbeit erleichtern!
Weitere Informationen gibt es hier.

Porträt, Dr. Katharina Weitz

Dr. Katharina Weitz

ist Erzieherin, Psychologin und Informatikerin. Sie forscht am Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut in Berlin an Möglichkeiten, Künstliche Intelligenz für Menschen erklärbar und menschzentriert zu gestalten. Neben ihrer Forschung vermittelt Katharina Weitz Wissen über Informatik und KI in Workshops, Vorträgen, Videos und Büchern.