Gastbeitrag

Personalmanagement

So überzeugen Sie Talente: Recruiting mit Vertriebslogik

Früher war die Rollenverteilung im Bewerbungsprozess eindeutig: Jobsuchende bewarben sich auf ausgeschriebene Stellen, Unternehmen wählten aus einer Vielzahl von Bewerbungen die passenden aus. Der Fachkräftemangel hat das Machtgefüge in vielen Branchen umgedreht und heute sind es die Unternehmen, die sich bei Talenten bewerben müssen.

Illustration: Eine Person geht Treppenstufen hinauf zu einem Laptop, als Symbol für Recruiting mit Vertriebslogik

15.10.2025

Viele HR-Abteilungen verharren trotzdem noch immer in alten Mustern: standardisierte Abläufe, generische Stellenanzeigen, formale Gespräche. Dabei liegt die Lösung auf der Hand: Wer im Wettbewerb überzeugen will, muss sich an erfolgreichen Strategien aus dem Vertrieb orientieren. Employer Branding heißt: Das Unternehmen muss sich überzeugend verkaufen. Das gelingt nur, wenn der gesamte Recruiting-Prozess als Vertriebsprozess gedacht wird – von der Stellenanzeige über das Bewerbungsgespräch bis zum Onboarding.

Zielgruppen wie im Vertrieb definieren

Im klassischen Vertrieb ist der erste Schritt die Zielgruppenanalyse: Wer ist mein idealer Kunde? So müssen Unternehmen auch bei Jobsuchenden vorgehen. Eine klare Definition des gesuchten Talents ist entscheidend – von den fachlichen Qualifikationen bis hin zu persönlichen Werten. Anstatt Stellenanzeigen als starre Anforderungslisten zu formulieren, müssen sie zeigen, warum das Unternehmen für genau diese Jobsuchenden attraktiv ist. 

Von der Vorauswahl zum ersten Eindruck

Im Vertrieb werden Leads geprüft, bevor man Zeit in sie investiert. Auch im Recruiting gilt: Nicht jede Bewerbung passt und nicht jeder Algorithmus liefert die Wahrheit. Tools können vorselektieren, doch die entscheidende Frage bleibt: Passt die Person wirklich zur Rolle und zum Unternehmen? Hier hilft das Modell BANT: Passt das Gehaltsgefüge (Budget)? Wer beeinflusst die Entscheidung (Authority)? Welche Bedürfnisse stehen im Vordergrund (Need)? Und ist der Zeitpunkt für einen Wechsel realistisch (Timing)? Wer diese Fragen früh beantwortet, verschwendet keine Ressourcen auf Talente, die ohnehin nicht passen.

Im Gespräch verstehen, was Bewerbende wirklich wollen

Die Bedarfsanalyse ist der Moment im Sales, in dem aus einem Gespräch ein Geschäft werden kann.Ein Bewerbungsgespräch im Recruiting in Analogie ist genauso keine Einbahnstraße, sondern der entscheidende Augenblick, um zu verstehen, was Bewerbende motiviert. Wer überzeugen will, muss zuerst fragen, zuhören und dann die Antworten nutzen. Das SPIN-Modell aus dem Vertrieb strukturiert Fragen nach Situation, Problem, Implikation und Nutzen.

Im Recruiting bedeutet das: Zuerst die aktuelle Lage verstehen, dann die Wechselmotive herausarbeiten und schließlich zeigen, welchen Mehrwert die neue Rolle bietet. So entsteht ein Dialog, der echte Motive sichtbar macht – weit über das Abhaken von Benefits hinaus. Ein häufiger Fehler ist es, Zusatzleistungen wie eine Checkliste herunterzuspulen: Jobrad, Homeoffice, Weiterbildung. Wirkung entfalten Benefits erst, wenn sie im Kontext individueller Erfahrungen stehen. Wer in einem früheren Job permanent unbezahlte Überstunden machen musste, reagiert sensibel auf transparente Arbeitszeitmodelle. Wer in eine Führungsrolle strebt, lässt sich eher durch klare Entwicklungspfade gewinnen als durch Obstkorb und Kickertisch. Die Kunst liegt darin, Benefits als Antwort auf konkrete Wünsche einzusetzen.

Vom Angebot bis zur Einstellung: Klarheit und Flexibilität

Nach der Bedarfsermittlung geht es darum, das Angebot überzeugend zu präsentieren, Rahmenbedingungen zu verhandeln und den Abschluss sicherzustellen. Bewerbende wollen kein Standardpaket, sondern eine Lösung, die zu ihren Prioritäten passt. In der Verhandlung zählen Flexibilität und Offenheit. Unklare Aussagen oder lange Wartezeiten kosten Unternehmen wertvolle Talente.

Wer transparent kommuniziert, schnell entscheidet und den Bewerbenden aktiv signalisiert, dass sie wirklich gewollt sind – etwa durch persönliche Rückmeldungen nach dem Gespräch, schnelle Terminvorschläge oder das frühzeitige Vorstellen des künftigen Teams – erhöht die Chancen auf eine Zusage erheblich. Recruiting endet dabei nicht mit der Unterschrift: Ein gutes Onboarding und echte Wertschätzung sichern langfristige Bindung. Wer hier investiert, reduziert Fluktuation und gewinnt gleichzeitig Sprachrohre für die eigene Arbeitgebermarke.

Recruiting braucht ein Sales-Mindset

Der Fachkräftemangel wird nicht so schnell verschwinden – im Gegenteil, er verschärft sich in vielen Branchen weiter. Wer im Wettbewerb um Talente bestehen will, muss Recruiting konsequent als Vertriebsprozess begreifen. Das erfordert keine komplett neuen Strukturen, sondern vor allem ein Umdenken in Haltung und Gesprächsführung.

Fünf Handlungsempfehlungen für HR-Teams:

  1. Zielgruppen definieren und Stellenanzeigen optimieren: Klare Zielgruppe benennen und Nutzen statt Anforderungen in den Vordergrund stellen.
  2. Bedarfsanalyse ernst nehmen: Bewerbungsgespräche als Dialog führen und mit Modellen wie SPIN echte Motivationen sichtbar machen.
  3. Angebote personalisieren: Benefits nicht abspulen, sondern individuell zuschneiden.
  4. Flexibel verhandeln: Gehalt, Modelle und Benefits offen diskutieren, statt starre Vorgaben durchzusetzen.
  5. Onboarding als Schlüssel nutzen: Den Prozess nicht mit der Unterschrift beenden, sondern Mitarbeiterbindung von Anfang an mitdenken.

Sultan Waraich

ist Geschäftsführer bei Curato Leads, einer Recruiting-Agentur, die Unternehmen wie VW, RWE und Dallmayr dabei unterstützt, ihre Stellenanzeigen und Recruitingstrategien zu optimieren. Zuvor war er mehrere Jahre in verschiedenen Funktionen bei der Jobplattform Indeed tätig – unter anderem im strategischen Vertrieb und in der Beratung von HR-Abteilungen großer Unternehmen.