Gastbeitrag

Female Leadership

Warum moderne Führung kein Geschlecht braucht

Die Debatte um Female Leadership kreist oft um Klischees: empathisch vs. rational, weich vs. durchsetzungsstark, weiblich vs. männlich. Doch in einer Welt, in der sich Arbeitsmodelle, Kommunikationsformen und Organisationskulturen im Umbruch befinden, greifen solche Zuschreibungen zu kurz – vor allem in einer sich zumindest nach außen hin progressiv präsentierenden Branche wie FinTech. Ich bin überzeugt: Moderne Führung braucht keine Geschlechterunterteilung. Sie braucht Qualität.

Vier Frauen sitzen mit Laptops an einem Tisch und diskutieren, als Symbol für Female Leadership im FinTech

15.09.2025

Führen bedeutet Beziehungsarbeit, nicht Machtdemonstration

In meiner Rolle als Geschäftsführerin eines FinTechs erlebe ich tagtäglich, dass erfolgreiche Führung vor allem eines ist: Beziehungsarbeit. Es geht darum, belastbare und authentische Beziehungen zu Mitarbeitenden über alle Ebenen hinweg aufzubauen, Kommunikationsstärke zu zeigen und kulturelle Offenheit zu leben. Gute Führung fördert Vielfalt und schafft Räume, in denen unterschiedliche Perspektiven nicht nur toleriert, sondern gezielt einbezogen werden. Sie nimmt Menschen ernst, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Lebensmodell. Dabei geht es nicht um „weibliche“ oder „männliche“ Eigenschaften, sondern um ein neues Führungsverständnis, das Zusammenarbeit, Transparenz und Sinnstiftung in den Mittelpunkt rückt.

Warum die Fixierung auf Female Leadership oft am Ziel vorbeiführt

Natürlich brauchen wir mehr Frauen in Führungspositionen. Doch der Fokus auf „weibliche“ Führung als etwas grundsätzlich Anderes – vielleicht sogar Besseres – ist kontraproduktiv. Vielmehr untergräbt er das eigentliche Ziel: Gleichberechtigung durch eine neue Definition von Führung, die über Geschlechterzuschreibungen hinausgeht. Wenn wir echte Veränderung wollen, müssen wir aufhören, Frauen in stereotype Führungsrollen zu drängen und stattdessen den Führungsbegriff selbst hinterfragen. Leadership im 21. Jahrhundert verlangt Empathie, Kollaboration, Innovationsgeist. Das sind Fähigkeiten, die jedem Menschen zugänglich sein sollten.

FinTechs: Disruption nicht nur im Geschäftsmodell, sondern auch in der Führung

FinTechs verstehen sich selbst gern als agil, modern und technologiegetrieben. Doch bei Diversität und Geschlechtergerechtigkeit zeigt sich oft ein anderes Bild. In der Branche der Finanzdienstleister sind nur 17 % der Führungspositionen von Frauen besetzt. Auch beim Frauenanteil unter Gründer*innen lassen sich ähnliche Zahlen beobachten. Zwischen 2014 und 2023 ist die Female-Founder-Quote in Deutschland zwar um 10 % auf 20 % gestiegen, doch dann im folgenden Jahr erstmals wieder auf 19 % gesunken. Ein Rückschlag, der sich keineswegs zum Trend entwickeln darf.

Dabei bietet gerade die FinTech-Branche enorme Chancen: Die oft noch jungen, wachstumsstarken Unternehmen haben die Möglichkeit, Strukturen von Beginn an diversitätsbewusst zu gestalten. Sie können Prozesse etablieren, die Quereinsteiger*innen willkommen heißen, inklusives Recruiting fördern und Arbeitsmodelle anbieten, die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben ermöglichen. Das bedeutet: flexible Arbeitszeiten, flache Hierarchien, transparente Kommunikationskultur und Offenheit gegenüber Talenten, die vielleicht nicht den klassischen Karriereweg gegangen sind.

Was sich ändern muss: Kommunikation, Kultur und Recruiting

Ein entscheidender Hebel für mehr Vielfalt liegt in der Kommunikation. Die Finanzbranche kämpft mit einem verstaubten Image – zu oft dominiert von Anzugträgern, intransparenter Sprache und einer Wettbewerbslogik, die mit kollegialem Miteinander wenig gemein hat. Deshalb müssen wir zeigen, wofür wir wirklich stehen: für gesellschaftlichen Mehrwert, für Zusammenarbeit statt Ellenbogenmentalität, für Fairness statt Profit um jeden Preis. Das gilt nicht nur für externe Kommunikation, sondern beginnt intern mit Jobprofilen, die Quereinsteiger*innen adressieren und Teams, die Diversität aktiv leben.

Auch Führungskräfte müssen sich hier weiterentwickeln: Weg von der Idee, dass nur der „klassische“ Karriereweg zählt. Weg von unbewussten Vorannahmen à la „Thomas stellt lieber Michael ein als Maria“. Stattdessen: ein aktiver, reflektierter Umgang mit Auswahlprozessen und Fördermaßnahmen beispielsweise durch Mentoring, gezieltes Headhunting und verpflichtende „Unconscious Bias“-Trainings.

Führung neu denken – auch für die Gen Z

Nicht zuletzt erwarten junge Talente von ihren Arbeitgebern heute mehr als Status und Gehalt. Die Generation Z fordert Sinn, Mitbestimmung und Flexibilität – und sie hat recht damit. Diese Anforderungen sind kein Risiko, sondern eine Chance: Wer sie ernst nimmt, schafft Arbeitswelten, die nicht nur für Frauen, sondern für alle attraktiver sind. FinTechs haben das Potenzial, bei dieser Transformation voranzugehen. Nicht, weil sie müssen, sondern weil sie können. Weil sie bereit sind, überholte Strukturen aufzubrechen und neue Formen des Arbeitens und Führens zu etablieren. Weil sie verstehen, dass Vielfalt nicht nur eine moralische Frage ist, sondern eine ökonomische Notwendigkeit und dabei auch ein echter Wettbewerbsvorteil.

Drei Learnings aus meiner Karriere

  1. „Traue dich zu fragen und deine Stimme zu nutzen“: Deine Stimme ist dein wichtigstes Werkzeug. Frage nach, teile deine Ideen, zeige Initiative. Suche dir Mentorinnen oder Mentoren und baue Netzwerke, die dich fördern.
  2. „Sei der Wandel“: Verändere nicht nur dich, sondern auch dein Umfeld. Habe den Mut, Strukturen infrage zu stellen, Strategien zu überdenken und neue Zielgruppen anzusprechen.
  3. „Suche dir ein Umfeld, das dich unterstützt“: Wähle Unternehmen, die Diversität leben, Talente fördern und dir den Raum geben, dich zu entfalten.

Female Leadership darf keine abgesonderte Sonderkategorie sein. Sie muss Teil eines neuen, inklusiven Führungsverständnisses werden. Wenn wir anfangen, Führung an Qualität statt an Geschlecht zu messen, können wir echte Chancengleichheit schaffen. Die FinTech-Branche hat die Mittel, Vorreiterin zu sein. Nutzen wir sie.

Annett Polaszewski-Plath

ist Managing Director für die DACH-Region beim Finanzdienstleister Mollie. Die Digitalexpertin treibt das Wachstum des Unternehmens in Deutschland, Österreich und der Schweiz voran. Mollie ist seit 2019 am deutschen Markt vertreten. Annett ist maßgeblich für die strategische Ausrichtung und Vision in der DACH-Region verantwortlich.