Gastbeitrag

New Work

Fachkräftemangel meistern: Strategien für Unternehmen

Die Wirtschaft steht vor vielfältigen Herausforderungen – eine der größten betrifft nahezu alle Branchen: der anhaltende Fachkräftemangel. Viele Unternehmen fühlen sich ohnmächtig – doch es gibt einige Maßnahmen, mit denen man aktiv gegensteuern und Souveränität zurückgewinnen kann.

Zwei Männer in Businesskleidung, die in einem technischen Labor über etwas diskutieren, als Symbol für den Fachkräftemangel in Unternehmen

23.09.2025

Die Politik spricht von Wirtschaftswachstum und ergreift diverse Maßnahmen, um dieses anzukurbeln. Nach den vielfältigen Krisen der letzten Jahre soll eine optimistische, zukunftsgerichtete Stimmung in der deutschen Wirtschaft die Veränderung unterstützen. Doch der branchenübergreifende anhaltende Fachkräftemangel bremst die Konjunktur.

Status Quo – fehlende Mitarbeitende verhindern Wachstum

Laut der Bundesagentur für Arbeit gibt es im September 2025 rund 631.000 offene Stellen am ersten Arbeitsmarkt. Diese vakanten Stellen verteilen sich breit über die verschiedensten Branchen. Gleichzeitig entsteht – durch die Regierung einerseits, aber ebenfalls durch die Treiber Digitalisierung, KI und Nachhaltigkeit – die Situation, dass Unternehmen wachsen wollen. Dabei werden sie paradoxerweise ausgebremst, weil ihnen die Mitarbeitenden fehlen.

Verschiedene Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt

Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Man spricht von einem Arbeitnehmermarkt, auf dem die Arbeitskräfte am längeren Hebel sitzen. Unternehmen müssen sich bei den Talenten bewerben, statt andersherum. Gleichzeitig gibt es verschiedene aktuelle Entwicklungsströme, die die Situation in Unternehmen und auf dem Arbeitsmerkt beeinflussen:

1. Der demographische Wandel

Der demographische Wandel ist seit 2020 ein Dauerthema und wird gegen Ende der 2020er-Jahre zu einem deutlichen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials und einem weiter steigenden erhöhten demografischen Druck führen. Die Baby Boomer Generation hat lange Zeit den Arbeitsmarkt zahlenmäßig dominiert – derzeit gehen all diese Mitarbeitenden nach und nach in Rente. Es kommen jedoch signifikant weniger junge Menschen nach – so entstehen vakante Stellen, für die es keine Nachfolge gibt. Die Alternative, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben, ist bürokratisch kompliziert und durch die politische Migrationsdebatte belastet. Kurzum: Die Situation spitzt sich in vielen Branchen für diverse Stellenpositionen weiter zu, auch wenn in anderen Branchen gerade Stellen abgebaut werden.

2. Neue Job-Profile durch KI

Künstliche Intelligenz entwickelt sich rasant und eröffnet fast täglich neue Möglichkeiten für die Arbeitswelt. In Folge entstehen auch ständig neue Anforderungen und Aufgaben an Mitarbeitende und werden ebenso schnell wieder obsolet. Ein Beispiel: Ende 2022 mit Veröffentlichung von ChatGPT hieß es schnell, dass Prompt Engineering das Jobprofil der Zukunft ist und alle Unternehmen diese Personen brauchen werden. Heute ist der beste Prompt Engineer die KI selber und kann durch die Fachexperten direkt gefüttert werden.
Wichtig: Die Fachexperten müssen wissen beziehungsweise lernen wie. Das Ausbildungssystem kann mit der Geschwindigkeit nicht mithalten, wodurch eine grundlegende Veränderung für den Arbeitsmarkt entsteht: Die benötigten Kompetenzen können Mitarbeitende oft noch gar nicht mitbringen – Unternehmen müssen stattdessen Strukturen für Weiterbildungsmaßnahmen, potentialorientierte Auswahl- und Entwicklungsprogramme aufbauen.

3. Belastung der vorhandenen Belegschaft

Viele Unternehmen haben schon seit Jahren mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen, sodass Stellen unbesetzt sind. Andere haben die rechtzeitig planbare Nachbesetzung ausscheidender Personen oft zu lange aufgeschoben. So entsteht eine gefährliche Situation für die vorhandene Belegschaft: Häufig müssen die Mitarbeitenden die vakanten Stellen ausgleichen. Das hat vielfältige Folgen: dauerhaft Überstunden und damit verbunden eine kontinuierliche Überlastung der Mitarbeitenden. Ein Wissensverlust und verminderte Qualität, da Aufgaben nur in Vertretung oder interimsweise von Kollegen übernommen werden, die andere Kernaufgaben und -kompetenzen haben. Qualitätsverlust durch den fehlenden Fokus, wenn eine Aufgabe zusätzlich übernommen wird und die Priorität auf der Kerntätigkeit liegt. Langfristig führt das zu einer geringeren Leistungsfähigkeit und zu wachsender Unzufriedenheit bei der bestehenden Belegschaft.

Lösungen: Was Unternehmen tun können

Es gibt auch strukturelle Probleme, die politisch adressiert werden müssen. Dazu gehören beispielsweise eine Modernisierung der Bildungs- und Ausbildungssysteme, Anerkennungsverfahren und Migrationsstrukturen für Fachkräfte aus dem Ausland sowie Ausbau und Optimierung der Kinderbetreuungsangebote für berufstätige Eltern insbesondere in ländlichen Regionen. Unternehmen können und sollten aber auch hier ihren Einfluss nutzen, um auf diese Baustellen aufmerksam zu machen.

In erster Linie sollten Unternehmen jedoch selbst aktiv werden und versuchen aus den aktuellen Umständen das Beste rauszuholen. Denn wir sehen im Austausch mit Unternehmen oft, dass diese sich zusätzlich Steine in den Weg legen, weil sie in alten Strukturen und Denkmustern feststecken. Insbesondere bei Themen wie bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf (Kinderbetreuung aber auch Pflege von Angehörigen), Altersdiversität bei Neueinstellungen, auch über 50 hinaus, sowie die Erwartung an gradlinige Lebensläufe, sehen wir sehr großes Entwicklungspotential, das die Unternehmen selbst heben können und müssen.

Auch das gehört dazu, um ein zukunftsfähiger attraktiver Arbeitgeber zu sein und sich glaubwürdig als dieser im Wettbewerbsumfeld zu positionieren. Was es dafür braucht, ist ein Umdenken:  Unternehmen müssen einen ehrlichen, selbstkritischen und unverstellten Blick auf das eigene Angebot, die Anforderungen an Talente und pragmatische Lösungen werfen.

1. Mitarbeitendenzufriedenheit

Zufriedene Mitarbeitende sind ein wichtiger Baustein im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Man sollte sich als Unternehmen vor Augen führen, was es wörtlich und im übertragenen Sinne kosten würde, wenn ein Mitarbeitender geht: Wissensverlust, meist eine lange Vakanzzeit und Mehrbelastung für andere, verminderte Qualität, schlechtes Signal für Kunden und Partner, und vieles mehr. Zufriedene Mitarbeitende dagegen lassen sich nicht so leicht abwerben, sind leistungsfähiger und in Krisenzeiten loyal. Im besten Fall sind sie sogar Botschafter und beste Referenz bei der Suche nach neuen Mitarbeitenden.

2. Arbeitsbedingungen

Die Arbeitswelt hat sich verändert und Mitarbeitende wissen, dass flexible Arbeitszeiten, Homeofficemöglichkeiten und Workation in vielen Berufen etabliert sind. Wer als Arbeitgeber diese Entwicklungen verweigert, hat einen Wettbewerbsnachteil. New Work kann nicht in jedem Jobprofil gleich aussehen, aber Unternehmen sollten hier keine Abwehrhaltung einnehmen. Es ist wichtig, die eigenen Strukturen zu hinterfragen und zu überprüfen, wo und wie maximale Flexibilität möglich ist und transparent kommunizieren, wo und weshalb es Grenzen gibt. Auch individuelle Regelungen zu finden, um auf Bedürfnisse einzugehen, ist in Ordnung. Während ein Kollege gerne ins Büro geht, verzichtet ein anderer vielleicht auf den Firmenwagen, um mehr von zu Hause zu arbeiten und bei spontaner Kita-Schließung das Kind abholen zu können.

3. Kurz-, mittel- und langfristige Planung

Viele Unternehmen werden von Kündigungen und sogar Renteneintritten immer noch überrascht und reagieren ausschließlich kurzfristig von vakanter Stelle zu vakanter Stelle. So können weder Ursachen behoben werden noch ein ordentlicher Planungshorizont mit Übergaben und Wissenstransfer eingerichtet werden. Eine kurz-, mittel- und langfristige Personalplanung und -entwicklung ist entscheidend im Kampf gegen den Fachkräftemangel. Weggänge sollten nicht überraschen, sondern im Optimalfall vorhergesehen und verhindert werden. Bei Renten sollten frühzeitig Kollegen für die Nachfolge intern und extern gesucht, angesprochen und weiterentwickelt werden. Dazu gehört auch das die Kompetenzentwicklung bei neuen Themen wie KI und völlig neuen Jobprofilen – Unternehmen müssen in Zukunft das Thema Qualifizierung selbst in die Hand nehmen und ein gutes Skill Management aufbauen, anstatt darauf zu warten, dass diese Kompetenzen und Erfahrungen auf dem externen Markt auftauchen.

4. Bewerbungsprozess schlank gestalten

Viele Unternehmen haben ihre Bewerbungsprozesse in Zeiten entwickelt, in denen auf eine Stelle unzählige qualifizierte Bewerbungen kamen und die „Qual der Wahl“ durch einen langwierigen und hürdenreichen Bewerbungsprozess gelöst wurde. Heute sieht die Situation ganz anders aus, daher müssen Bewerbungsprozesse schlank und unkompliziert gestaltet und auf das Nötigste reduziert werden. Schnelligkeit ist außerdem ein absolutes Muss: Wer Bewerbungen wochenlang sammelt, diskutiert und dann beginnt Gesprächstermine zu vereinbaren, läuft Gefahr, dass die qualifiziertesten Kandidaten bereits anderweitig fündig wurden oder ihr Interesse abgeflaut ist.

5. Jobangebot vs. Stellenanzeige

Auf einem Arbeitnehmermarkt bewerben sich Unternehmen bei den Talenten – nicht andersrum. Daher ist eine gute Recruitingstrategie in Verbindung mit einem authentischen Employer Branding Management heute die erfolgversprechendste Maßnahme bei der Besetzung von Stellen. Dennoch sehen wir aber von den meisten Unternehmen weiterhin Stellenanzeigen mit einem klaren Fokus auf die Anforderungen an die gesuchte Person. Immer noch formulieren viele Unternehmen ein Anforderungsprofil, dem kaum jemand gerecht werden kann. Und vergessen das Entscheidende in den Vordergrund zu stellen: Warum sollten Talente in diesem Unternehmen arbeiten wollen?
Tipp: Fokussieren Sie sich auf Grundkompetenzen und beschreiben Sie Qualifikationsangebote und Weiterentwicklungsmöglichkeiten.

Fazit

Es gibt viele Einflüsse auf den Arbeitsmarkt. Nicht auf alle können Unternehmen Einfluss nehmen. Umso wichtiger ist es, die Bereiche zu identifizieren, in denen selbstbestimmt Maßnahmen ergriffen werden können. Nur wer die Sache selbst in die Hand nimmt und sich aktiv mit den Ursachen beschäftigt, warum Talente lieber zur Konkurrenz gehen, kann Lösungen entwickeln. Das mag herausfordernd und manchmal unbequem sein, aber nur so können Unternehmen sich zu attraktiven, zeitgemäßen Arbeitgebern entwickeln.

Stephanie Krüger

ist Head of Talent Acquisition bei der HR-Agentur HRtbeat