Stilles Symptom einer gestörten Kommunikationskultur
Ghosting – ein Begriff, der ursprünglich aus der Welt des Online-Datings stammt – hat sich längst seinen Weg in die Arbeitswelt gebahnt. Gemeint ist das abrupte Abbrechen der Kommunikation im Bewerbungsprozess, ohne Erklärung, ohne Verabschiedung, ohne jede Form von Feedback. Was früher ein Einzelfall war, ist heute zu einem strukturellen Problem geworden, das beide Seiten betrifft. Bewerberinnen und Bewerber hören nach einem Vorstellungsgespräch nichts mehr vom Unternehmen, Personalverantwortliche warten vergeblich auf eine Rückmeldung von Kandidaten. Diese Sprachlosigkeit ist Ausdruck einer tieferliegenden Entwicklung: dem Verlust von Verbindlichkeit, Empathie und Wertschätzung in beruflichen Beziehungen.
Wenn Unternehmen verstummen…
Aus der Perspektive der Bewerbenden ist Ghosting durch Unternehmen besonders bitter. Wer Zeit, Energie und Emotionen in eine Bewerbung investiert, erwartet zumindest eine Rückmeldung – auch dann, wenn die Entscheidung negativ ausfällt. Doch viele Bewerbende erleben genau das Gegenteil: Nach dem Absenden der Unterlagen folgt eine Phase des Schweigens, die sich oft über Wochen hinzieht. Manche Unternehmen antworten überhaupt nicht mehr. Dahinter steckt selten bewusste Geringschätzung, sondern meist ein Mix aus strukturellen, organisatorischen und kulturellen Ursachen.
In vielen Personalabteilungen herrscht chronischer Zeitmangel. Hohe Bewerbungszahlen, komplexe Abstimmungsprozesse zwischen Fachabteilungen und fehlende digitale Systeme führen dazu, dass Bewerbungen im Prozess versanden. Gerade in größeren Organisationen mit starren Hierarchien und langen Entscheidungswegen stehen Responsen oft als letztes Glied in der Kette von Prioritäten. Hinzu kommt, dass in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit viele Unternehmen Bewerbungsverfahren kurzfristig stoppen, Budgets einfrieren oder Stellen neu bewerten.
In solchen Situationen gerät Kommunikation leicht ins Hintertreffen. Dennoch bleibt das Ergebnis dasselbe: Auf Bewerberseite entsteht das Gefühl, ausgenutzt oder nicht ernst genommen zu werden. Das Schweigen von Unternehmen ist jedoch mehr als nur eine Frage schlechter Kommunikation, sondern beschädigt das Arbeitgeberimage nachhaltig. In Zeiten von Bewertungsportalen und sozialen Netzwerken kann eine negative Erfahrung schnell weite Kreise ziehen. Ghosting hinterlässt den Eindruck mangelnder Professionalität und Empathie – zwei Eigenschaften, die für eine glaubwürdige Arbeitgebermarke essenziell sind. Wer potenzielle Mitarbeitende im Bewerbungsprozess ignoriert, vermittelt ungewollt ein Bild der internen Kultur. Wenn schon hier nicht ausreichend kommuniziert wird, wie offen und wertschätzend ist dann die Zusammenarbeit im Unternehmen selbst?
… und Bewerbende spurlos verschwinden
Doch das Phänomen stellt längst keine Einbahnstraße mehr dar. Auch Bewerbende ghosten – und das häufiger, als viele Unternehmen wahrhaben wollen. Manche erscheinen nicht zum Vorstellungsgespräch, andere sagen trotz Zusage in letzter Minute ab oder tauchen nach einem Angebot schlicht unter. Die Motive dafür sind vielschichtig. Durch die veränderte Marktsituation haben qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber heute in vielen Branchen die Wahl zwischen mehreren Angeboten. Wer weiß, dass er begehrt ist, fühlt sich weniger verpflichtet, absagen oder sich gar erklären zu müssen. Dazu kommt die emotionale Dynamik von Bewerbungsverfahren.
Viele Menschen empfinden es als unangenehm, ein Nein zu formulieren oder einen Arbeitgeber zu enttäuschen, vor allem nach freundlichen Gesprächen. Aus dieser Unsicherheit entsteht oft eine Art Fluchtverhalten: Schweigen scheint leichter, als eine ehrliche, aber potenziell unangenehme Nachricht zu senden. Zudem spielen Faktoren wie schlechte Erfahrungen in früheren Bewerbungsprozessen, mangelnde Rückmeldungen seitens anderer Unternehmen oder schlicht Überforderung eine Rolle.
Gerade jüngere Generationen, die Kommunikation häufig digital und schnelllebig erleben, haben seltener gelernt, verbindlich mit solchen Situationen umzugehen. Das Ghosting durch Bewerbende hat für Unternehmen gravierende Folgen. Offene Stellen bleiben länger unbesetzt, Zeit und Ressourcen fließen in Kandidaten, die am Ende doch nicht verfügbar sind und das Vertrauen in Bewerbende insgesamt bröckelt. Auch für Letztere selbst ist Ghosting kein harmloses Verhalten: Wer sich ohne Erklärung zurückzieht, riskiert seinen Ruf. Branchen sind oft enger vernetzt, als viele denken, und Personalverantwortliche erinnern sich an unprofessionelles Verhalten. In einer späteren Bewerbungsrunde kann das schnell zum Nachteil werden.
Der Preis der Sprachlosigkeit
Ghosting zerstört Vertrauen – und das auf beiden Seiten. Es hinterlässt Unsicherheit, Frustration und Enttäuschung. Für Bewerberinnen und Bewerber bedeutet es, dass sie in einem ohnehin nervenaufreibenden Prozess zusätzlich in der Schwebe bleiben. Die fehlende Rückmeldung erschwert es, mit der Bewerbung innerlich abzuschließen und das Selbstwertgefühl bleibt angekratzt. Für Unternehmen wiederum entsteht ein Reputationsschaden, der schwer zu korrigieren ist.
In einer Zeit, in der Employer Branding zu einem entscheidenden Wettbewerbsfaktor geworden ist, kann mangelnde Kommunikation langfristig die Attraktivität als Arbeitgeber schwächen. Ghosting untergräbt zudem die Grundlage jeder professionellen Beziehung: Verlässlichkeit. Kommunikation, auch über unangenehme Entscheidungen, ist ein Zeichen von Respekt. Wer sie verweigert, signalisiert Desinteresse und Desorganisation. Damit wird das, was eigentlich ein Prozess des Kennenlernens und Vertrauensaufbaus sein sollte, zu einer Transaktion ohne Menschlichkeit.
Wege aus dem Schweigen
Um Ghosting zu vermeiden, braucht es auf beiden Seiten ein neues Bewusstsein für Verantwortung und Verbindlichkeit. Unternehmen sollten ihre Prozesse kritisch hinterfragen und dort ansetzen, wo Kommunikation verloren geht. Digitale Bewerbungsplattformen können helfen, automatisierte Zwischenbescheide oder klare Statusmeldungen zu versenden. Noch wichtiger aber ist eine Kultur der Wertschätzung, in der sich jede Bewerbung als individuelle Interaktion verstehen lässt. Selbst eine standardisierte Absage kommt besser an als keine Reaktion. Verantwortliche sollten sich bewusst machen, dass jede Rückmeldung nicht nur ein Signal der Höflichkeit darstellt, sondern ein Beitrag zum Ruf des Unternehmens.
Auf Bewerberseite braucht es ebenso ein Umdenken. Wer sich für eine Stelle interessiert, sollte transparent kommunizieren – auch dann, wenn sich die Prioritäten ändern oder ein anderes Angebot verlockender erscheint. Eine ehrliche Absage ist nicht nur fair, sondern professionell. Sie lässt Türen offen für mögliche künftige Begegnungen. Kommunikation bedeutet hier, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen. Ghosting im Bewerbungsverfahren ist kein Randphänomen, sondern ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen.
Schnelligkeit, Informationsflut und digitale Distanz haben dazu geführt, dass Verbindlichkeit an Bedeutung verloren hat. Schweigen mag zwar kurzfristig bequemer erscheinen – langfristig schadet es jedoch beiden Seiten. Wer kommuniziert, gewinnt. Denn letztlich ist es nicht die Absage, die verletzt, sondern das Gefühl, ignoriert zu werden. Wenn sich Bewerbende und Unternehmen gleichermaßen bereit zeigen, Verantwortung für ihre Kommunikation zu übernehmen, kann Ghosting seinen Schrecken verlieren. Der Bewerbungsprozess ist kein Versteckspiel, sondern ein Dialog – einer, der mit Respekt beginnt und mit Klarheit endet.

