Nicht wenige Menschen sehnen sich danach, Deutschland für einige Zeit oder sogar für immer den Rücken zu kehren. Ein Großteil dieser Personengruppe sieht sich allerdings durch das deutsche Steuerrecht an ihren Plänen gehindert. Insbesondere für Inhaber von Kapitalgesellschaften wird es schnell eng, denn ab einem Anteilsbesitz von bereits einem Prozent greift die sogenannte Wegzugsbesteuerung und damit der worst case des deutschen Steuerrechts ein: Besteuerung ohne Liquiditätszufluss. Es wird so getan, als ob der Anteilseigner die Kapitalgesellschaft zum Marktpreis veräußert hätte. Der dadurch entstehende fiktive Veräußerungsgewinn wird der laufenden Einkommensteuer nach dem Teileinkünfteverfahren unterworfen, was eine wirtschaftliche Belastung von rund 27 Prozent bedeutet.

Zwölf-Jahres-Frist
Die Wegzugsbesteuerung gilt für alle natürlichen Personen, die zu mindestens einem Prozent an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft beteiligt sind und innerhalb der letzten zwölf Jahre vor dem die Wegzugsbesteuerung auslösenden Ereignis insgesamt mindestens sieben Jahre unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland waren. Wurden die maßgeblichen Anteile unentgeltlich erworben (zum Beispiel durch Schenkung), ist für die genannten Zeiträume zusätzlich auf die unbeschränkte Steuerpflicht des Rechtsvorgängers abzustellen. Sachlich wird die Wegzugsbesteuerung ausgelöst durch alternativ
- (1) die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht infolge der Aufgabe des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts,
- (2) die unentgeltliche Übertragung auf eine nicht unbeschränkt steuerpflichtige Person sowie
- (3) den Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile.
Wegzugsbesteuerung in letzter Sekunde
Die hinter der Wegzugsbesteuerung stehende Überlegung des Steuergesetzgebers ist die Folgende: Sofern Deutschland mit dem Zuzugsstaat ein Doppelbesteuerungsabkommen nach dem Vorbild des OECD-Musterabkommens abgeschlossen hat, steht Deutschland nach einem Wegzug meist kein Besteuerungsrecht mehr an den Kapitalgesellschaftsanteilen zu. Da aber jeder Staat zumindest diejenigen stillen Reserven soll besteuern können, die während der Zeit der Gebietszugehörigkeit des Steuerpflichtigen entstanden sind, greift gewissermaßen in der letzten logischen Sekunde vor dem Wegzug die im deutschen Außensteuergesetz geregelte Wegzugsbesteuerung ein. Diese ist vergleichsweise „wasserdicht“ ausgestaltet – einige wenige Gestaltungs- und Vermeidungsmöglichkeiten gibt es dennoch. Diese schaffen zwar Abhilfe in Bezug auf die Wegzugsbesteuerung, aber sorgen oft für Schwierigkeiten an anderer Stelle.
Personen- statt Kapitalgesellschaft?
Eine Gestaltungsmöglichkeit geht beispielsweise dahin, die Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft umzuwandeln. Dann greift zwar die Wegzugsbesteuerung bei einem anschließenden Wegzug nicht mehr ein, aber es sollte besonderes Augenmerk auf die Steuerneutralität des Umwandlungsvorgangs gelegt werden. Bei ausländischen Gesellschaften kann eine solche Umwandlung nämlich oft eine Besteuerung auslösen, und bei inländischen Gesellschaften gelten alle Gewinnrücklagen der Kapitalgesellschaft als an den Anteilseigner ausgeschüttet und werden infolgedessen ebenfalls mit rund 27 Prozent besteuert. Bei hohen Gewinnrücklagen hat der Anteilseigner damit also nichts gewonnen.
Holding: Grund für Wegzugsbesteuerung entfällt
Einer weiteren Gestaltungsmöglichkeit liegt die Gründung einer sogenannten geschäftsleitenden Holding zugrunde, sofern der Wegzügler über mindestens zwei Kapitalgesellschaften verfügt. In einem solchen Fall kann vor dem Wegzug eine inländische Kommanditgesellschaft gegründet werden, die steuerlich als Gewerbebetrieb ausgestaltet wird und deren inländischer Betriebsstätte die Kapitalgesellschaftsanteile tatsächlich und funktional zugeordnet werden. Darüber bleiben die Kapitalgesellschaftsanteile im Inland steuerverhaftet und der Grund für die Wegzugsbesteuerung entfällt. Allerdings ist die geschäftsleitende Holding in der praktischen Ausgestaltung nicht einfach umzusetzen, und im Detail verbleiben rechtliche Unsicherheiten, sodass eine solche Gestaltung nicht ohne eine verbindliche Auskunft ratsam ist. Letztere allerdings kann, je nach Wert der Anteile, hohe Kosten verursachen, und auch die Zeitschiene bis zur Erteilung einer solchen Auskunft ist nicht zu unterschätzen.
Nachteile der Familienstiftung
Eine dritte Gestaltungsmöglichkeit geht dahin, die in- und ausländischen Kapitalgesellschaftsanteile schenkweise auf eine zu errichtende Familienstiftung zu übertragen. Der Wegzügler wird Destinatär (Begünstigter) der Stiftung und kann ungehindert wegziehen, weil eine Stiftung per definitionem keine Kapitalgesellschaft ist. Allerdings kann das Stiftungsrecht in der praktischen Handhabung durchaus hinderlich sein; zudem muss dem Wegzügler klar sein, dass er sich seines Vermögens dauerhaft begeben hat, von der alle 30 Jahre anfallenden Erbersatzsteuer (ebenfalls Besteuerung ohne Liquiditätszufluss, nachteilig jedenfalls für die Erben) und der Schenkungsteuerbelastung bei Gründung einmal ganz zu schweigen.
Lebensversicherungsmantel vermeidet Wegzugsbesteuerung
Viertens besteht jedenfalls grundsätzlich die Möglichkeit, Kapitalgesellschaftsanteile in einen Lebensversicherungsmantel einzubringen. Auch dies vermeidet die Wegzugsbesteuerung. Hier besteht aber ein enger Abstimmungs- und Prüfungsbedarf vor dem Hintergrund des Rechts des Zuzugsstaats, weil eine einheitliche steuerliche Würdigung des Versicherungsmantels vorgenommen werden sollte. Auch erbrechtliche Aspekte wären zu beachten.
Persönliche Interessen abwägen
Sie sehen also, den Königsweg gibt es nicht. Wichtig ist, jeden steuerlichen Einzelfall sorgfältig zu studieren und sodann eine Abwägung der persönlichen Interessen mit den Widrigkeiten des Steuerrechts vorzunehmen. Und bitte bedenken Sie: Auch Untätigkeit kann Steuerplanung sein. Wer nach reiflicher Überlegung seinen deutschen Wohnsitz beibehält, hat immerhin nichts zu befürchten.