Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das deutsche Erbschaftsteuerrecht im Jahr 2016 bekanntlich umfassend reformiert worden, insbesondere was die Begünstigung von Unternehmensnachfolgen und betrieblichem Vermögen angeht. Weniger bekannt ist die seitdem bestehende Möglichkeit einer Privilegierung von Familienunternehmen (Personen- und Kapitalgesellschaften) bei der Erbschaftsteuer durch den sogenannten 30-Prozent-Vorwegabschlag nach § 13a Abs. 9 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG).

Dass insbesondere Familienunternehmen einer besonderen betriebswirtschaftlichen Verschonung bedürfen, leitete der Gesetzgeber aus der typischerweise überdurchschnittlich hohen Kapitalbindung der Gesellschafter in den betreffenden Unternehmen und die insbesondere bei großen Familienunternehmen anzutreffenden Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen her, die in der Praxis oft die Übertragbarkeit des zugrundeliegenden Betriebsvermögens erheblich reduzieren.
Gesetzgeber trägt Besonderheiten von Familienunternehmen Rechnung
Diesen Besonderheiten bei Familienunternehmen trägt der Gesetzgeber durch einen Vorwegabschlag von 30 Prozent Rechnung, und zwar unabhängig von den bei sonstigem Betriebsvermögen geltenden Lohsummen- und Behaltensfristen. Das Vermögen wird rechtstechnisch sachlich von der Steuer befreit. Im Ergebnis heißt das nichts anderes, als dass Familienunternehmen, die die Ausschüttungs-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen des Erbschaftsteuergesetzes erfüllen, die Möglichkeit haben, begünstigtes Vermögen in Höhe von bis zu 37,14 Millionen Euro bei Erfüllung der weiteren Voraussetzungen der Optionsverschonung gänzlich ohne Erbschaftsteuerbelastung an einen Erben zu übertragen.
So lassen sich die Beschränkungen erfüllen
Die Erfüllung der genannten Beschränkungen ist gegeben, wenn der Gesellschaftsvertrag des Unternehmens oder die Satzung Bestimmungen enthält, welche
- erstens (1) die Entnahme oder Ausschüttung auf höchstens 37,5 Prozent des um die auf den Gewinnanteil oder die Ausschüttungen aus der Gesellschaft entfallenden Steuern vom Einkommen gekürzten Betrages des steuerrechtlichen Gewinns beschränken,
- zweitens (2) die Verfügung über die Beteiligung an der Personengesellschaft oder den Anteil an der Kapitalgesellschaft auf Mitgesellschafter, auf Angehörige im Sinne des § 15 der Abgabenordnung oder auf eine Familienstiftung beschränken und
- drittens (3) für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft eine Abfindung vorsehen, die unter dem gemeinen Wert der Beteiligung an der Personengesellschaft oder des Anteils an der Kapitalgesellschaft liegt.
Zudem müssen die Bestimmungen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen, was auch wirklich von den Finanzbehörden geprüft wird.
Nachteil: lange Frist
Kein Vorteil ohne Nachteil im Steuerrecht: Die genannten Voraussetzungen müssen 20 (!) Jahre lang ab der Entstehung der Steuer erfüllt und nachgewiesen werden. Verstöße gegen die Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen innerhalb der zwanzigjährigen Nachlauffrist führen zu einem rückwirkenden Wegfall der sachlichen Steuerbefreiung. Der Erwerber hat zudem innerhalb dieses Zeitraums Änderungen gesellschaftsvertraglicher oder tatsächlicher Natur innerhalb eines Monats gegenüber dem für die Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt anzuzeigen.
Dies sind erhebliche praktische Restriktionen, keine Frage, ebenso wie die Organisationsverfassung des Unternehmens zivilrechtlich an die steuerlichen Anforderungen angepasst werden muss. Gleichwohl kann im Einzelfall durch den Vorwegabschlag eine gegenüber „normalem“ Betriebsvermögen ganz erhebliche erbschaftsteuerliche Begünstigung eintreten.
Frühzeitig planen bei der Erbschaftsteuer
Das Gesetz spricht ausdrücklich nur Personen- und Kapitalgesellschaften als begünstigte Rechtsformen an. Einzelunternehmen hingegen sind von der Begünstigung des Vorwegabschlags ausgenommen. Als Gestaltungsmaßnahme können Einzelunternehmen jedoch steuerneutral nach §§ 20 , 24 Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) in eine Kapital- oder Personengesellschaft eingebracht und damit der Anwendungsbereich des Vorwegabschlags eröffnet werden. Dies bedarf jedoch einer gewissen Planungszeit von mindestens zwei Jahren, da die Voraussetzungen des § 13a Abs. 9 ErbStG mindestens zwei Jahre vor Steuerentstehung erfüllt sein müssen.
Erbschaftsteuer: drei Gruppen von Unternehmen
Für welche Unternehmen lohnen sich nun entsprechende Gestaltungsüberlegungen? Im Wesentlichen ergeben sich aus dem Gesetz drei Fallgruppen:
- (1) Kleinere Einzelunternehmen, die unabhängig von der Gewährung des Vorwegabschlags keinen Großerwerb nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG darstellen, profitieren nicht wesentlich von Einbringungen in Personen- oder Kapitalgesellschaften, da im Rahmen der Optionsverschonung ohnehin eine vollständige Befreiung erreicht werden kann.
- (2) Größere Unternehmen, die ohne Anwendung des Vorwegabschlags einen Großerwerb nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG (das heißt begünstigtes Vermögen bis zu 26 Millionen Euro) darstellen, können aufgrund des Vorwegabschlags im Rahmen der Optionsverschonung insgesamt von den Verschonungsregelungen profitieren.
- (3) Große Unternehmen, die trotz Vorwegabschlag als Großerwerb nach § 13a Abs. 1 Satz 1 ErbStG qualifizieren, profitieren zwar nicht von einer umfassenden Verschonung, jedoch sinkt die Erbschaftsteuerbelastung im Gestaltungsfall ganz erheblich.
Der Praxistest steht noch aus
Nachdem der Vorwegabschlag in den ersten Jahren nach der Erbschaftsteuerreform eher ein stiefmütterliches Dasein geführt hatte, rückt er nun vermehrt ins Bewusstsein der Steuerpflichtigen – und auch der Finanzverwaltung. Es bleibt zum Beispiel abzuwarten, wie die Finanzverwaltung die Nachlauffrist und oben genannte Auflagen in der Praxis überwachen wird und mit welcher Strenge Verwaltungspraxis und Rechtsprechung die Vorschriften auslegen werden. Unbestritten ist jedoch, dass der Vorwegabschlag aufgrund seiner Vorteile in Zukunft einen wesentlichen Aspekt der Erbschaftsteuerplanung größerer Familienunternehmen darstellen wird.