DUP UNTERNEHMER-Magazin: Hält die schwarz-rote Koalition bis 2029 – oder kracht es vorher?
Michael Bröcker: Aus Angst vor dem Tod zwingt man sich zusammen. Das ist der Kitt dieser Koalition. Für Friedrich Merz wie für Lars Klingbeil wäre ein Bruch politisch unattraktiv. Der eine wäre der am kürzesten amtierende CDU-Kanzler, der andere in der eigenen Partei erledigt. Beide wissen: Die Alternative wäre gefährlich – auch für die Demokratie. Diese Koalition wird aus staatspolitischer Verantwortung durchhalten.
Mit der Arbeit von Bundeskanzler Friedrich Merz ist allerdings nur rund ein Viertel der Bevölkerung zufrieden. Woran liegt das?
Bröcker: Friedrich Merz ist Opfer seines überschäumenden Erwartungsmanagements vor der Wahl und einer strategischen Fehlentscheidung – der Abstimmung mit der AfD in der Migrationspolitik. Damit hat
er an Glaubwürdigkeit im Merkel-Lager verloren. Seine konservative Basis wiederum erkennt, dass seine markigen Worte nun auf die Realität einer großkoalitionären Konsensmaschine mit einer geschwächten SPD prallen. Beides ergibt weder Merz pur noch einen moderaten Kanzler der Mitte. Hinzu kommt: Beliebt war Merz als Typ nie – seine scharfe Rhetorik und sein selbstbewusstes Auftreten schrecken viele ab. Deshalb profitiert er auch nicht vom sonst üblichen Amtsbonus. Aber: Er kann freier agieren. Er wird nie der Liebling der Deutschen, könnte aber im Rückblick einer der Kanzler sein, die dieses Land wirklich modernisiert haben.
Wird die Regierung der Versuchung widerstehen, mit dem Geld aus dem Infrastruktur-Sondervermögen Haushaltslöcher zu stopfen, statt notwendige Investitionen zu finanzieren?
Bröcker: Das ist die entscheidende Frage dieser Koalition. Wenn es Schwarz-Rot nicht gelingt, die rund 500 Milliarden Euro tatsächlich wirtschaftsstimulierend einzusetzen, wird die Enttäuschung groß sein. Schon jetzt sehen wir Verschiebebahnhöfe, etwa im Verkehrsministerium: Gelder aus dem Kernhaushalt wandern ins Sondervermögen, statt zusätzlich zu wirken. Richtig wäre gewesen, beides zu tun – also neue Investitionen in die marode Infrastruktur plus eine Aufstockung des Kernhaushalts. Merz hat es zudem versäumt, das mit einem klaren Bekenntnis der SPD zu Einsparungen im Sozialstaat zu verbinden, also bei Gesundheit und Rente. Ihm fällt auf die Füße, dass er die Obergrenze von 40 Prozent bei den Sozialversicherungsbeiträgen nicht mitverhandelt hat.
Kommen wir zur Wirtschaftspolitik: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat einen subventionierten Industriestrompreis angekündigt. Nach der Strompreisbremse ist das die zweite Subvention, von der der Mittelstand nicht profitiert. Verprellt die Union gerade ihre Kernklientel?
Bröcker: Friedrich Merz war in den ersten Monaten zu sehr Partner der Großkonzerne statt Anwalt des Mittelstands – anders als im Wahlkampf angekündigt. Das zeigt sich beim Industriestrompreis ebenso wie beim Investitionsgipfel, bei dem kaum ein familiengeführter Betrieb vertreten war. Wer den Mittelstand wirklich entlasten will, muss an die Sozialabgaben ran. Subventionen helfen nur kurzfristig.
Große Hoffnungen liegen auf dem 80-Punkte-Plan von Digitalminister Karsten Wildberger für Staatsmodernisierung und Bürokratieabbau. Zu Recht?
Bröcker: Inhaltlich sind die acht Handlungsfelder, die er identifiziert hat, sehr klug und längst überfällig. Aber der Digitalminister ist nur so stark, wie Merz ihn sein lässt. Und er braucht Unterstützung aus allen Ressorts – insbesondere von Arbeitsministerin Bärbel Bas, die die meisten Abbaumaßnahmen leisten müsste – sowie von den Ländern. Entscheidend ist, ob die SPD ihm Erfolge gönnt. Und der Bundeskanzler muss das Thema zur Chefsache machen.
Halten Sie das für realistisch?
Bröcker: Ja. Wenn Union und SPD sich auf eines einigen können, dann darauf, dass dieses Land zu träge ist. Beide brauchen hier einen Erfolg – auch bei ihren eigenen Wählerinnen und Wählern. Staatsmodernisierung und Bürokratieabbau sind das Thema, bei dem Schwarz-Rot wirklich liefern kann.
Als Wirtschaftsministerin muss auch Katherina Reiche Deutschland wieder auf Wachstumskurs bringen. Wo wird sie Akzente setzen?
Bröcker: Sie ist das ordnungspolitische Gewissen der Regierung – aber ohne Gesetzgebungskompetenz. Merz lässt sie bewusst Dinge sagen, die er selbst nicht sagen kann, weil er den Laden zusammenhalten muss. Sie war seine erste Wahl für das Ministerium – und nicht etwa Carsten Linnemann, wie oft behauptet wird. Sie wird für die SPD noch unbequem werden, gerade wenn es um die Ergebnisse der Sozialstaatskommission geht. Katherina Reiche kann bestimmte Pläne im Kabinett blockieren und damit Debatten anstoßen.
Technologieministerin Dorothee Bär will mit der Förderung von sechs Schlüsseltechnologien Deutschland wieder zur Hightech-Republik machen. Wird das die nötigen Innovationen auslösen?
Bröcker: Die Agenda ist wichtig, weil sie den Blick auf Schlüsselindustrien lenkt, die in den kommenden Jahren zu Gamechangern werden könnten, etwa Halbleiter, Biotech, Luft- und Raumfahrt. Allein diese Fokussierung hilft, Kapital und öffentliche Aufmerksamkeit in diese Branchen zu lenken. 18 Milliarden Euro Budget sind nicht viel, aber ein Signal. Endlich redet die Politik wieder über Zukunftsindustrien.
2026 stehen fünf Landtagswahlen an – vor allem im Osten könnte die AfD mancherorts zur stärksten Kraft werden. Welchen Einfluss hat das auf das politische Berlin?
Bröcker: Friedrich Merz und Lars Klingbeil müssen ihre zentralen Reformen bis zum Frühjahr umgesetzt haben, sonst blockiert der Dauerwahlkampf alles. Die Wahl in Sachsen-Anhalt wird zur Gretchenfrage für die Union: Wie geht sie mit der AfD um? Bis zur Wahl im September wird es keine Öffnung der Bundes-CDU nach rechts geben. Sie werden mit der Strategie „wir sind das Bollwerk gegen die AfD“ versuchen, doch noch stärkste Kraft zu werden. Und man wird in den ersten Monaten 2026 versuchen, Schwarz-Rot zu einer Reformkoalition umzubauen. Ich halte es für möglich, dass die drei Parteivorsitzenden – mit Markus Söder zusammen – über Weihnachten relevante Entscheidungen treffen und mit einem neuen Aufbruchssignal in das kommende Jahr gehen. Wenn es beispielsweise gelingt, den Ifo-Geschäftsklimaindex nach oben zu treiben, lassen sich vielleicht die wirtschaftlichen Erwartungen der Investoren drehen. Und möglicherweise kann es dann zu einem Schrumpfen der AfD kommen, weil die Menschen das Gefühl haben, Schwarz-Rot will und kann doch etwas bewegen. Das ist das positive Szenario. Alles andere werden wir erst am Tag nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt erleben.
Wenn Sie für die Arbeit der Regierung 2026 eine Schlagzeile formulieren müssten – welche wäre das?
Bröcker: Das wäre ein Zitat des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler: „Offen will ich sein – und notfalls unbequem.“

