Gastbeitrag

Evolution statt Revolution

Wie der Mittelstand dem KI-Dilemma entgeht

KI ist längst Standard – doch wer auf die „perfekte“ Lösung wartet, blockiert sich selbst. Statt Stillstand braucht es eine Stufenflug-Strategie: kleine, schnell umsetzbare Projekte, die zunächst einfachere Routineaufgaben automatisieren und Prozesse smarter machen. So wird KI zum Co-Piloten, der Mitarbeitende stärkt statt ersetzt, schreibt Experte Mario Trapp von der Mittelstandsberatung Enomyc in seinem Gastbeitrag.

Illustration: Eine Person in Businesskleidung steht vor verschiedenen Symbolen: Einem Fragezeichen, einem AI-Button und einer Glühbirne, die für KI im Mittelstand stehen

03.09.2025

Künstliche Intelligenzen wie ChatGPT, Gemini, Claude oder Perplexity und KI-Features wie Microsofts Copilot sind schnell sowie günstig zu haben – und längst im Alltag angekommen. Zumindest, wenn es um Texterstellung, Brainstormings oder einfache Automatisierungen geht. Differenzieren können sich Mittelständler mit solchen Tools nicht mehr.

Eigenentwicklungen hingegen, die einen Wettbewerbsvorteil versprechen, sind oft zeitaufwendig, kostspielig und riskant. Standardlösungen werden meist eher für größere Organisationen konzipiert. Die Folge: Viele Unternehmen warten auf die „perfekte“ KI – und blockieren sich selbst.

Dabei gibt es einen pragmatischen Weg aus diesem Dilemma. Bei der „Stufenflug-Strategie“ setzen Unternehmen auf kleine, klar abgegrenzte Projekte. So wird KI zum Co-Piloten, der Routinen übernimmt, Sicherheit gibt und Spielräume eröffnet – ohne den Menschen zu ersetzen.

KI für „Unmögliches“ nutzen

Der Ansatz: Mittelständische Unternehmen sollten sich vor allem auf wiederkehrende Routineaufgaben, Analysen und Entscheidungshilfen konzentrieren. Geeignet sind Prozesse, bei denen größere Datenmengen bewältigt werden müssen, Aufgaben, die bislang viel Kapazität binden oder vielleicht sogar als „unmöglich“ gelten, sind dafür oft prädestiniert. Genauso passend sind Systembrüche, die in vielen Unternehmen manuelle Übertragung von Daten erforderlich machen. Erfahrene Berater können helfen, perfekt für den KI-Einstieg nutzbare Potenziale zu identifizieren.

Routenplanung bis Aktenverwaltung

Ein Beispiel: Im Vertrieb können sich Fahrtrouten schnell ändern, wenn zum Beispiel ein Termin ausfällt. In einem solchen Routinefall dynamisch zu reagieren und die Wegstrecke anzupassen, ist ein gutes Einsatzgebiet für KI. Über ein mobiles Endgerät mit Spracheingabe, direkt verknüpft mit den Arbeitstools des Vertriebs, kann sie den Tagesplan automatisch adaptieren und umsteuern – für den Menschen intuitiv und flexibel on the fly. In diesem Fall hilft KI, Fahrer, Fahrten, Fahrzeuge und Frachträume dynamisch zu variieren und so Mehrwert zu schaffen.

In anderen Fällen kann sie etwa dabei helfen, Papierdokumente zu erfassen und richtig über verschiedene Systeme hinweg zu übertragen – zum Beispiel durch intelligente Agenten, die verstehen, ob es sich beim Dokumentenfeld „Namen“ im Kontext um den Vornamen oder den Nachnamen einer Person handelt. Auch in der Kommunikation gibt es schnell umsetzbare Anwendungsfälle. Wer heute im E-Mail-Fach noch ohne KI arbeitet, fällt zurück – oder wird von der Realität eingeholt.

Evolution in fünf Stufen

Verantwortliche in Unternehmen sollten selbst aktiv werden, Mitarbeitende mit an Bord holen und externer Expertise vertrauen. Ein typischer Lifecycle durchläuft dabei folgende Stufen:

  1. Realität akzeptieren: KI ist da und bleibt. Viele Mitarbeitende nutzen sie bereits privat.
  2. Potenziale erkennen: Unternehmen sollten aktiv kleine, repetitive Prozesse identifizieren und automatisieren.
  3. Piloten ausrollen: Mit den ersten Erfahrungen und Erfolgen werden die Abläufe smarter. Der Automatisierungsgrad sollte kontinuierlich gesteigert, die Systemintegration erhöht werden.
  4. Autonomie etablieren: KI sollte nicht mehr nur als Werkzeug zur Automatisierung, sondern als unterstützender Partner für die Mitarbeitenden begriffen werden, der ihnen hilft und sie besser macht.
  5. Evolution vorantreiben: Perspektivisch wird künftig ein Großteil der Routinetätigkeiten von KI verändert. Das Unternehmen wird so zu einem digitalen Organismus. Menschen konzentrieren ihre Stärken auf Interaktion, Kreativität und Führung.

Es ist wichtig, zu verstehen, dass KI dabei Mitarbeitende nicht ausschließlich ersetzt. In Zeiten des Fachkräftemangels und des bevorstehenden Ruhestands erfahrener Mitarbeitender ist sie vielmehr eine Chance: Sie macht Arbeit leichter, unterstützt Entscheidungen und erhöht die Schlagkraft von Teams.

So wie das Internet wird auch die Künstliche Intelligenz bleiben. Sie wird fester Bestandteil aller Lebens- und Geschäftsbereiche – als nächste Stufe der technologischen Evolution. Wer auf die „große“ KI-Lösung wartet, statt jetzt fliegen zu lernen, könnte dieser Entwicklung zum Opfer fallen.