Auf einer Baustelle irgendwo in Deutschland steht alles still. Ein Bagger ist ausgefallen – ein Verschleißteil ist defekt. Eine andere Baumaschine erscheint nicht rechtzeitig vor Ort, weil sich ihr Transport verzögert hat. Kein ungewöhnliches Szenario. Laut einer McKinsey-Studie stieg die Arbeitsproduktivität auf dem Bau in den vergangenen 20 Jahren um gerade einmal ein Prozent, das produzierende Gewerbe kam immerhin auf 3,6 Prozent. Heillos verteuerte Projekte à la Hamburger Elbphilharmonie, Stuttgart 21 und Berliner Flughafen runden das negative Bild ab.
Laura Tönnies will das ändern. „Wir wollen Baustellen gänzlich effizient machen“, sagt die 24-jährige Gründerin von Corrux. Ihr ambitionierter Plan: Mithilfe von Daten will sie bekannte Probleme, die immer wieder zu Bauverzögerungen und Kostenexplosionen führen, bekämpfen. „Wir können mit einer wachsenden Population nicht immer noch an unproduktiven Baustellen hängen und immer wieder auf die gleichen Probleme treffen. Es sind ja Erfahrungswerte da“, argumentiert Tönnies.
Gesagt, getan. Die Mathematikerin nutzt das Internet der Dinge (IoT), um Baumaschinen zu überwachen. Sie analysiert die Daten von Großbaugeräten wie Baggern und Radladern, sowohl im Tiefbau als auch im Untertagebau. Letzteres sei aufgrund der oft mangelnden Internetanbindung eine ganz besondere Herausforderung, sagt Tönnies, die dafür in einer ersten Finanzierungsrunde kürzlich 3,1 Millionen Euro eingesammelt hat. Über eine Plattform von corrux können Bauunternehmer all ihre Maschinen verschiedener Hersteller zentral überwachen, deren Einsätze analysieren und so optimieren. IoT par excellence. Und das in einer Traditionsbranche wie dem Baugewerbe.
Traditionsbranchen, aufgewacht!
Was sich hierzulande unter dem Schlagwort Industrie 4.0 etabliert hat, beschreibt die weltweite Entwicklung des Industrial Internet of Things (IIoT). Gemeint ist die intelligente Vernetzung von Maschinen und industriellen Abläufen. Was deutsche Unternehmen gegenüber Google, Facebook, Alibaba und Co. im B2C-Geschäft nicht mehr aufholen können, soll die Industrie in Sachen B2B richten. „Wenn es darum geht, die traditionelle Industrie mit den Möglichkeiten der Digitalisierung zu verbinden, schaut die Welt genau hin, was wir machen“, sagt Professor Christoph Meinel, Direktor des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts. Das sei aber kein Selbstläufer, so der Experte.
Die Zahlen geben ihm recht. Zwar ist laut einer Studie, die der Digitalverband Bitkom anlässlich der Hannover Messe vorstellte, aktuell im Schnitt jede vierte Maschine in der deutschen Fertigung mit dem Internet verbunden. In jedem zehnten Unternehmen ist sogar mehr als die Hälfte der Maschinen vernetzt. In diesem Jahr wollen die Befragten zudem durchschnittlich rund fünf Prozent ihres Gesamtumsatzes in IoT-Anwendungen investieren. Auch bei der Umsetzung von Testprojekten rund um IoT haben europäische Unternehmen laut den Beratern von Bain & Company gegenüber den USA die Nase vorn.
Jedoch fällt es vielen noch schwer, aus den Pilotprojekten auch funktionierende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Und bei McKinsey heißt es, erst in 21 Prozent der deutschen Unternehmen werden Anwendungen wie digitales Performancemanagement, auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierte Nachfrageprognosen oder 3-D-Druck eingesetzt. Während 69 Prozent der deutschen Industrieunternehmen solche Projekte hoch priorisieren, sind es in China 87 Prozent und in Indien sogar 94 Prozent.
Vorliegende Daten sinnvoll nutzen
Damit das produzierende Gewerbe hierzulande auch die vierte industrielle Revolution meistert, braucht es in den Unternehmen ein Umdenken in Bezug auf sinnvolles Data-Business und den praktikablen Einsatz digitaler Technologien. Tönnies erklärt dies für das Baugewerbe: „Es ist nicht praktisch, mit einem iPad auf einer lauten, schmutzigen Baustelle rumzurennen.“ Man müsse die Nutzerbedarfe in den traditionellen Industrien eben genau verstehen, um mit digitalen Lösungen weiterzuhelfen.

„Die klassischen Optimierungspunkte sind in allen Unternehmen Kostenreduktion und Qualitätsverbesserung“, sagt Professor Adalbert Wilhelm von der Jacobs University zu den Zielen, die mit Industrie-4.0-Projekten verfolgt werden. Er erkennt in der Produktion vor allem bei Analysen zur Feststellung der Maschinenauslastung und der Optimierung der Produktionsplanung Potenzial für den routinemäßigen Einsatz von datengetriebenen Methoden. „Aktuell basieren diese Prozesse im produzierenden Gewerbe meist auf theoretisch abgeleiteten Parametern und Erfahrungswerten“, so Wilhelm.
Erste Projekte zur Datennutzung bedeuten noch nicht den Einsatz von KI. „Meistens sind es simple Fragen, etwa wo ist meine Maschine gerade oder wie lange wird ihr Treibstoff noch reichen? Dazu brauche ich keine KI“, erklärt Tönnies. Wie Autos haben viele Baumaschinen eingebaute Sensoren, über die man relevante Daten auslesen und erste Mehrwerte generieren könne. Vorausgesetzt, man nutzt den Datenschatz, den man sowieso besitzt.
So ließen sich beispielsweise Wartungseinsätze und Transportzeiten besser überblicken und abstimmen. Ausfall- und Standzeiten der teuren Maschinen können so reduziert und Kosten gesenkt werden. Und wenn der Unternehmer erste Analysen sieht, ohne vorher 10.000 Euro in neue Hardware investiert zu haben, sei es auch einfacher, aufwendigere Schritte wie den Einsatz komplexerer Algorithmen zu rechtfertigen, erklärt die Gründerin.
Inhalt
- Teil 1: IoT auf der Baustelle
- Teil 2: Die Rahmenbedingungen müssen stimmen
Die Infrastruktur: 5g muss her
Doch selbst das richtige Mindset nutzt wenig ohne die passenden Rahmenbedingungen. In puncto Infrastruktur soll es die nächste Mobilfunkgeneration 5G richten. Die Wirtschaft zählt auf die Technologie, mit der Maschinen in Echtzeit miteinander kommunizieren können sollen. Während in Südkorea, den USA und bald auch in der Schweiz erste kommerzielle 5G-Netze entstehen, diskutieren Politik und Mobilfunkanbieter in Deutschland seit Jahren darüber.
Die kürzlich versteigerten kurzwelligen Frequenzen sind zunächst auf Städte konzentriert. Die bei Breitbandausbau und Mobilfunkqualität ohnehin gebeutelten ländlichen Räume gehen damit in Sachen 5G erst einmal leer aus. Und genau dort sitzt teils das viel zitierte Rückgrat der deutschen Wirtschaft: der Mittelstand. „Gleichzeitig werden die Unternehmen in ein Auflagenkorsett gezwungen, das die Wirtschaftlichkeit der geplanten Investitionen infrage stellt“, kritisiert Bitkom-Präsident Achim Berg den Prozess der Lizenzvergabe.
Nach der Frequenzversteigerung folgt der eigentliche Aufbau der Infrastruktur. Hier fordert Berg einfache Genehmigungsverfahren, damit die Mobilfunkmasten schnellstmöglich errichtet werden können. Positiv bewertet er, dass bestimmte Frequenzbereiche für lokale 5G-Netze reserviert sind, sodass Unternehmen eigene Netze aufbauen können, um etwa Industrie-4.0-Anwendungen voranzutreiben. Etwas, was schon mit den heute vorhandenen Mobilfunknetzen möglich ist, wie Alfons Lösing, bei Telefónica Deutschland verantwortlich für das Geschäftskundengeschäft, erläutert: „Bereits jetzt können wir dank Narrowband-IoT und LTE-M diverse IoT-Anwendungen realisieren.“ Durch 5G erweitern sich mögliche Anwendungsbereiche jedoch.
Die Schonfrist ist vorbei
Damit die heimische Industrie das IoT als Spielwiese der Zukunft nutzen kann, braucht es aber noch mehr als 5G. Ein essenzieller Baustein ist die Aus- und Weiterbildung, wie Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, bekräftigt . In der aktuellen Bitkom-Studie gaben 55 Prozent der Befragten an, dass am Fachkräftemangel derzeit der Einsatz konkreter IoT-Anwendungen scheitere. Knapp die Hälfte hat deshalb 2018 Mitarbeiter entsprechend weitergebildet, 53 Prozent planen das für 2019.
Und die Zeit drängt. „Die vierte industrielle Revolution wird oft als evolutionärer Prozess beschrieben“, so der Bitkom-Präsident. „Das ist insofern richtig, als die Veränderungsgeschwindigkeit in anderen Sektoren viel extremer ist, etwa im Medienbereich oder Finanzwesen.“ Als Grund dafür nennt Berg die Komplexität eines Produktionsprozesses, an dessen Ende ein materielles Produkt steht. Aber: Die Schonfrist gehe zu Ende. „Automobilhersteller und ihre Zulieferer sind die Ersten, die mitten im digitalen Sturm stehen.“
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Was ist Industrie 4.0? Die Definitionen der Plattform Industrie 4.0
Industrie 4.0 bezeichnet die intelligente Vernetzung von Maschinen und Abläufen mithilfe von Informations- und Kommunikationstechnologie. Für Unternehmen gibt es viele Möglichkeiten, intelligente Vernetzung zu nutzen. Dazu zählen beispielsweise:
Flexible Produktion: In der Herstellung eines Produkts sind viele Unternehmen involviert, die Schritt für Schritt etwas beitragen. Digital vernetzt können diese Schritte besser abgestimmt und die Auslastung der Maschinen besser geplant werden.
Wandelbare Fabrik: Produktionsstraßen sind künftig in Modulen aufgebaut. Sie lassen sich schnell für eine Aufgabe zusammenbauen. Produktivität und Wirtschaftlichkeit werden so verbessert, individualisierte Produkte können in kleiner Stückzahl zu bezahlbaren Preisen hergestellt werden.
Kundenzentrierte Lösungen: Konsument und Produzent rücken näher zusammen. Kunden können Produkte mitgestalten – etwa Elemente von Turnschuhen selbst designen und an die individuelle Fußform anpassen. Smarte Produkte senden im Einsatz Nutzungsdaten an den Produzenten, mit denen dieser seine Produkte verbessert und dem Kunden neuartige Services bietet.
Optimierte Logistik: Algorithmen berechnen die idealen Lieferwege, Maschinen melden selbstständig, wenn sie neues Material benötigen – die smarte Vernetzung ermöglicht einen optimalen Warenfluss.
Einsatz von Daten: Daten zu Produktionsabläufen und Produktzuständen werden zusammengeführt und ausgewertet. Diese Analyse liefert Hinweise für eine effizientere Herstellung. Noch wichtiger: Sie ist Grundlage für vollkommen neue Geschäftsmodelle und Services. Fahrstuhlhersteller etwa können ihren Kunden „vorausschauende Wartung“ anbieten: Sensoren in Fahrstühlen senden kontinuierlich Daten über ihren Zustand. Abnutzung kann erkannt und behoben werden, bevor der Fahrstuhl ausfällt.
Ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft: Produkte werden über ihren gesamten Lebenszyklus betrachtet. Schon im Design wird festgelegt, wie Materialien wiederverwertet werden können.