Mobilfunkstandard
Ist 6G der neue Heilige Gral?
Er schafft die Grundlagen für Innovation in der Zukunft: Thomas Magedanz arbeitet am Fraunhofer-Institut an der Entwicklung des neuen Mobilfunkstandards 6G. Im Interview erklärt er, was 6G in Zukunft leisten kann und wann alle davon profitieren können.


Professor Thomas Magedanz
ist Leiter des Geschäftsbereichs Software-based Networks (NGNI) bei Fraunhofer FOKUS. Das Institut forscht zu Informations- und Kommunikationstechnologie, darunter auch 5G und 6G
Im Business-Bestseller „The future is faster than you think“ geht es um die Auswirkungen des beschleunigten digitalen Wandels auf Unternehmen sowie auf die Gesellschaft. Laut den Autoren wird vor allem Technologiekonvergenz, also die Verknüpfung unterschiedlichster Technologien, den Fortschritt weiter rapide beschleunigen. In der Kombination welcher Technologien sehen Sie das größte Potenzial und warum?
Thomas Magedanz: Virtuelle, also Software-basierte 5G-Netze in Kombination mit Edge Computing, der Datenverarbeitung vor Ort, ist ein Beispiel für eine Technologiekonvergenz mit hohem Innovationspotenzial. Davon profitiert vor allem das industrielle Internet der Dinge, das hohe Anforderungen hinsichtlich Sicherheit, Zuverlässigkeit und Echtzeitverhalten stellt. Die Abkehr von rein drahtgebundenen Industrienetzwerken ermöglicht neue Geschäftsmodelle und erhöht die Flexibilität auf dem Fabrikgelände. Gleichzeitig unterstützt die Bundesregierung durch die Vergabe von lokalen Frequenzen einen schnellen, sicheren und kostengünstigen Aufbau von 5G-Netzen auf dem Fabrikgelände entsprechend der individuellen Anforderungen. Die Netze in den einzelnen Unternehmensstandorten können dann wiederum sicher miteinander vernetzt werden.
5G gilt mit Blick auf die digitale Transformation als ein Allheilmittel. Kann der Mobilfunkstandard diesem Anspruch tatsächlich gerecht werden?
Magedanz: Die letzten Mobilfunkgenerationen haben gezeigt, dass nach Markteinführung drei bis fünf Jahre nötig sind, um die Technologie zu optimieren und so eine Marktakzeptanz zu erlangen. Leider wurde 5G viel zu früh von Anbietern und Netzbetreibern als „Heiliger Gral“ für jedwede Kommunikation vermarktet. In einem ersten Schritt konnte 5G allerdings nur mehr Übertragungskapazitäten für Multimedia-Anwendungen bereitstellen. Erst jetzt wird 5G mit der zweiten Produktgeneration auch die niedriglatente Kommunikation ermöglichen, die man für die Steuerung von Maschinen benötigt. Dazu gehört aber auch der Aufbau einer entsprechenden lokalen Virtualisierungsinfrastruktur, die Edge-Computing – also die Datenverarbeitung vor Ort – ermöglicht. Darüber hinaus sind politische Diskussionen zur digitalen Souveränität richtig und wichtig, haben aber den deutschen und auch europäischen 5G-Markt ausgebremst und verunsichert. Als Reaktion darauf wird nun der Aufbau eines europäischen 5G-Ökosystems unter dem Label „Open RAN“ verfolgt. Vermutlich wird dieses Ökosystem basierend auf offenen, modularen 5G-Bausteinen dann zuallererst im Kontext der sehr innovativen 5G-Campusnetze in zwei bis drei Jahren entstehen.
Wir sind zwar noch weit davon entfernt, in Deutschland ein flächendeckendes 5G-Netz zu haben. Aber am Nachfolger 6G wird bereits gearbeitet. Wie ist da der Status quo?
Magedanz: Es wird sicher noch bis 2025 dauern, bis die 5G-Ausbauauflagen erfüllt sind. Ich nehme an, dass es erste 6G-Produkte und -Netzaufbauten um 2030 geben wird. Damit dies klappt, starten wir schon heute mit der internationalen Forschung. Zunächst wird 6G eine Evolution von 5G sein und eine Erhöhung der Bandbreite, der Anzahl von Endgeräten sowie Energieeffizienz ermöglichen. Gearbeitet wird bereits an der Integration von KI zur voll automatisierten Netzsteuerung und an der Erschließung des Terahertz-Frequenzspektrums, das eine extreme Steigerung der Datenrate bieten wird und eine genaue Umgebungsabtastung ermöglicht. Um die 6G-Entwicklung vor allem auch in Deutschland voranzutreiben, sind wir unter anderem in zwei 6G-Hubs aktiv, die vom Bundesforschungsministerium gefördert werden, und arbeiten mit anderen Fraunhofer-Instituten im Projekt „6G Sentinel“ zusammen.
Welche innovative, disruptive Produktidee oder welches neue Geschäftsmodell hat Sie zuletzt besonders beeindruckt und warum?
Magedanz: Lokale 5G-Frequenzen für private 5G-Campusnetze werden Innovationen für vernetzte Produkte hervorbringen – vor allem in der Automatisierung und Fertigung, in Krankenhäusern, aber auch auf Baustellen und im Unterhaltungsbereich. Hier ist Deutschland international der Vorreiter und sollte seinen Vorsprung nicht verspielen.
Redakteurin
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