Biotech

Pandemieprävention 2025: Warum Deutschland noch immer nicht ausreichend gewappnet ist

Fünf Jahre nach Corona hat sich das öffentliche Leben weitgehend normalisiert. Doch die Strukturen, die bei einem neuen Ausbruch entscheidend sein könnten, bleiben fragil. Das zeigt die Einschätzung von Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff, Virologin, Firmengründerin und stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenausschusses nach §5 ABS 9 IFSG, der 2022 die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung evaluierte. Sie sieht deutliche Defizite und warnt vor einer gefährlichen Selbstzufriedenheit.

Großaufnahme von drei Personen, dessen Beine zu sehen sind. Die Personen stehen hinter Abstandhaltern, um einen bildlichen Hinweis auf die Pandemieprävention in Deutschland 2025 zu liefern

13.11.2025

„Wir hatten bei dieser Pandemie viel Glück“

„Ich fürchte, wir sind nicht gut vorbereitet. Wir hatten bei dieser Pandemie viel Glück und damit wurde dem Thema der Pandemien auch schnell wenig Aufmerksamkeit gewidmet“, sagt Rübsamen-Schaeff. Ihr Urteil fällt ernüchternd aus. Zwar verfügt Deutschland über einen nationalen Pandemieplan des Robert Koch-Instituts, doch bei der Umsetzung hapert es nach wie vor. So kritisierte der Evaluationsbericht des Sachverständigenausschusses von 2022 beispielsweise, dass Fragmentierung, fehlende digitale Schnittstellen und unzureichende Datenerhebung die Pandemiebekämpfung und auch die Beurteilung der Wirksamkeit der Maßnahmen massiv erschwerten.

„Mangelnde (elektronische) Daten, mangelnde Interoperabilität der Schnittstellen und damit im Nachhinein nur begrenzte Möglichkeiten, Schlussfolgerungen zu ziehen, war einer der Kritikpunkte unserer Evaluierung“, sagt Rübsamen-Schaeff.

Pandemieprävention 2025: Neue Bedrohungen auf dem Radar

Auch wenn Corona-Erkrankungen derzeit auf niedrigem Niveau sind, bleibt das Risiko weiterer Pandemien hoch. „Die Forschung rechnet in unserer Welt mit knapp 8 Milliarden hoch mobiler Menschen damit, dass etwa alle zehn Jahre ein neues Pandemieereignis auftreten kann“, erklärt sie. „Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat deshalb eine Liste von Erregern erstellt, die besonders genau beobachtet werden sollten. Dazu zählen neben der „normalen“ Grippe die Vogelgrippe und Mpox, besser bekannt als Affenpocken. Auch Viren, die durch Mücken übertragen werden und sich infolge der Erderwärmung in neuen Regionen ausbreiten, stehen auf dieser Liste.“

Laut WHO werden weltweit derzeit mehr als 20 sogenannte priority diseases beobachtet, darunter auch Erreger, die bislang kaum erforscht sind.

Der Mittelstand als unterschätzter Faktor

„In der Vergangenheit hat der Mittelstand einerseits geholfen, zum Beispiel Stoff-Masken herzustellen, als es zu wenig Masken gab. Es waren aber auch überwiegend kleine Biotech-Unternehmen und Labors, die Tests entwickelten, um Corona nachzuweisen. Und die ersten Impfungen kamen ebenfalls nicht von Großunternehmen, sondern von Biotech-Firmen wie BioNTech und Moderna“, sagt Rübsamen-Schaeff.

Für sie steht fest: Der Mittelstand war und ist ein zentraler Pfeiler der Pandemievorsorge. Durch seine Innovationskraft, seine Agilität und die Fähigkeit, schnell zu reagieren. „Kleine Biotech-Firmen, Medizintechnik-Hersteller und Labore haben entscheidend dazu beigetragen, Diagnostik und Impfstoffe in Rekordzeit auf den Weg zu bringen“.

Biotech, Daten und digitale Vernetzung

„Die Probleme solcher Ausbrüche können nur durch die Forschung gelöst werden, die Testverfahren, Medikamente oder Impfstoffe zur Verfügung stellt“ fasst Rübsamen-Schaeff zusammen. „Dies geschieht überwiegend in jungen Biotech-Unternehmen. Es wäre zu wünschen, dass Biotech-Unternehmen in der Bevölkerung und in der Politik mehr gesehen und geschätzt würden. Zudem sollten sie großzügiger mit Kapital ausgestattet werden.“

 „Ferner wäre es äußerst wichtig, alle Daten schnell und elektronisch sammeln und auswerten zu können. Ob dies durch die elektronische Patientenakte erfolgen kann oder durch andere technische Möglichkeiten, um eine zeitnahe und repräsentative Auswertung und Schlussfolgerung zu erlauben, wie das in der Corona-Pandemie beispielsweise in Israel möglich war, wird man sehen müssen.“

Einen Ansatz für eine gelungene wissenschaftliche Vorbereitung auf mögliche Pandemien sieht sie in Belgien am Beispiel der Virus-Bank. Dort werden weltweit Virusisolate gesammelt, die auf der Liste der WHO stehen oder durch die Forscher selbst als problematisch eingestuft werden. Mit diesen Viren etablieren die Forscher der Virus-Bank Testsysteme, um im Ernstfall schneller Diagnostika, Medikamente oder Impfstoffe herstellen zu können. „Wir dürfen nicht vergessen, dass wir während der letzten Corona-Pandemie nur deswegen so schnell waren, weil es 2002 und 2012 bereits Corona-Ausbrüche gegeben hatte und die Wissenschaft da schon an Impfstoffen und Medikamenten gearbeitet hat. Man wusste also, was zu tun war.“

Fazit

Deutschland hat in der Pandemie improvisiert – und Glück gehabt. Doch Glück ist keine Strategie. Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff fordert deshalb, Forschung, Politik und Wirtschaft künftig enger zu verzahnen: „Eine zeitnahe Analyse mit den entsprechenden Schlussfolgerungen ist absolut notwendig, um die Wirksamkeit ergriffener praktischer Maßnahmen oder Interventionen durch Medikamente oder Impfstoffe möglichst effizient beurteilen zu können. Beim Auftreten eines neuen Keims fährt man ja zwangsläufig auf Sicht, eben weil er neu ist. Umso wichtiger ist es, Werkzeuge an der Hand zu haben, die erlauben, die ergriffenen Maßnahmen zeitnah zu beurteilen und zu ändern, falls nötig. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass nicht gegen jeden Krankheitserreger ein Impfstoff machbar ist. So stehen wir bei HIV trotz jahrzehntelanger, intensiver Forschung nach wie vor ohne Impfstoff da. Hier haben Medikamente geholfen, das Problem in den Griff zu bekommen“

Nur mit besserer Datenerfassung, vernetzter Biotech-Forschung und einer aktiven Rolle des Mittelstands kann Deutschland der nächsten Pandemie wirklich vorbereitet entgegensehen.

Prof. Dr. Helga Rübsamen-Schaeff

ist Chemikerin, Virologin, Managerin und Gründerin. 1995 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. 2018 wurden sie und ihr Team für die Entwicklung eines Medikaments gegen das Cytomeglie-Virus mit dem Zukunftspreis des Bundespräsidenten ausgezeichnet