Eine neue Studie des Capgemini Research Institute zeigt: Fast 60 Prozent der Unternehmen erwarten, dass KI in den nächsten zwölf Monaten eigenständig handeln wird – etwa als KI-Agent im Kundenkontakt, im Produktdesign oder im Vertrieb. Multi-Agenten-Systeme, also Netzwerke spezialisierter KI-Einheiten, gelten als nächster Entwicklungsschritt. Sie treffen Entscheidungen, führen Prozesse aus und kommunizieren untereinander. Für Unternehmen bedeutet das: Klassische Strukturen weichen dynamischen KI-getriebenen Einheiten. Die Organisation ändert sich, vom Organigramm bis zum Geschäftsmodell. Künstliche Intelligenz ist also nicht länger Assistenzsystem, sondern aktiver Teil der Wertschöpfung. Sie ist Teammitglied statt Tool.
Skalieren oder scheitern
Doch viele Unternehmen sind immer noch nicht vorbereitet. Laut einer Studie von Tietoevry und dem Marktforschungsunternehmen TQS Research & Consulting fehlt bei rund 30 Prozent eine klare KI-Strategie, bei 32 Prozent die nötige Expertise. Ohne qualifizierte Datenbasis und KI-fähige Infrastruktur bleibe die Vision reine Theorie. „KI ist kein Selbstzweck. Wer jetzt nicht investiert, wird abgehängt – nicht morgen, sondern heute“, sagt Lukas Keller, Head of Market Germany des IT-Dienstleisters Tietoevry Create.
Doch der Boom der Künstlichen Intelligenz hat seinen Preis. KI-Modelle benötigen Rechenleistung
in neuen Dimensionen. Der Strombedarf von Rechenzentren wird sich bis 2030 verdoppeln – ein Ein-Gigawatt-Rechenzentrum wird keine Ausnahme mehr sein, sondern Standard. Damit steigen die Anforderungen an Energieversorgung, Netzausbau und Kühlung dramatisch. „Wir erleben einen Infrastruktur-Wettlauf“, sagt Bobby Edemeka vom Investmentmanagement-Unternehmen Jennison Associates. „Wer Rechenzentren, Strom und Kühltechnologie liefern kann, wird vom KI-Boom direkt profitieren.“
Digitale Verwaltung: Dänemark ist Vorbild
Mit Digitalminister Karsten Wildberger hat Künstliche Intelligenz einen engagierten Fürsprecher in der Bundesregierung. In seiner Keynote „Wirtschaftswende durch KI – wie Deutschland wieder Taktgeber wird“ auf dem BIG BANG KI FESTIVAL 2025 forderte er: „Wir wollen nicht nur Anwender, wir wollen Gestalter sein. Wir wollen machen! Das heißt Blockaden lösen, Bürokratie abbauen, heute schon fragen, was wir morgen wollen werden“ (siehe Seite 11). KI ist für Wildberger die Schlüsseltechnologie der Zukunft – doch erst mal gilt es, schnellstmöglich die digitale
Infrastruktur dafür bereitzustellen.
Der Blick nach Dänemark zeigt, was möglich ist: nahezu flächendeckendes Gigabit-Internet, digitale Behördenwege, sichere Identitäten – alles Realität. Deutschland dagegen kämpft mit Funklöchern, Faxgeräten und komplizierten Verwaltungsportalen. Die Politik muss also die Rahmenbedingungen zügig verbessern, damit die Wirtschaft mit KI überhaupt wachsen kann.
Tech-Experte Frank Thelen ergänzte Wildbergers politisches Signal auf dem BIG BANG KI FESTIVAL um die Perspektive eines Unternehmers und Investors: Wer in KI investiere, profitiere nicht nur durch Effizienzgewinne, sondern durch frühzeitige Marktführerschaft. Thelens Credo war unmissverständlich: Wer heute nicht wagt, wird morgen überholt. Er sprach auf der BIG BANG-Bühne über den Baukasten der Zukunft, in dem Künstliche Intelligenz ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor sei. Thelen: „In den nächsten fünf Jahren werden wir Dinge erleben, die wir uns heute nicht vorstellen können.“ Für deutsche Unternehmen bedeutet das: Wer KI als Wirtschaftsmotor nutzen will, muss Tempo machen. Jetzt entscheidet sich, wer den Wandel aktiv gestaltet oder zum digitalen Zulieferer wird.
Doch damit aus technologischen Möglichkeiten auch hierzulande Realität wird, braucht es schnell eine souveräne, belastbare Infrastruktur – jenseits von Funklöchern und Cloud-Abhängigkeiten. Es braucht klare Zuständigkeiten und mutige politische Entscheidungen. Und es braucht Vertrauen in die Technologie durch Transparenz, Ethik und Kontrolle.
Kundenerwartungen wachsen schneller, als deutsche Behörden handeln
Eine Studie von Greven Medien zeigt: Die Bevölkerung ist bereit für die KI-Ära. Demnach begrüßen über 50 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten KI im Kundenservice – für Terminbuchung, Support oder Beratung. Besonders jüngere Menschen und Eltern sind offen für neue technologische Möglichkeiten. Gleichzeitig bleibt der Wunsch nach persönlichem Kontakt bestehen. Die beste Lösung: KI ergänzt, ersetzt aber nicht. Für Unternehmen heißt das: Wer Effizienz mit Empathie kombiniert, schafft Loyalität – und Differenzierung im Wettbewerb.
Zwischen wollen und machen
Die Karten der Digitalisierung werden gerade neu gemischt – und Deutschland will diesmal nicht nur zuschauen. „Künstliche Intelligenz ist nicht einfach eine andere Form von Digitalisierung. Es ist ein echter Paradigmenwechsel“, sagte Karsten Wildberger, Bundesminister für Digitales und Staatsmodernisierung, auf dem BIG BANG KI FESTIVAL.
Frisch aus den USA zurück, wo Präsident Trump gerade seinen nationalen KI-Aktionsplan vorgestellt hat, brachte Bundesdigitalminister Karsten Wildberger eine klare Botschaft mit zum BIG BANG KI FESTIVAL: „Die Begeisterung für Technologie und Innovation ist dort einfach unerreicht.“ Was ihn in Washington vor allem beeindruckt hat, ist der politische Wille, neue Technologien nicht nur zu regulieren, sondern aktiv zu ermöglichen.
Genau dort will Wildberger ansetzen – und auch in Deutschland mehr Freiraum für Innovation, schnellere Genehmigungen und konkrete Digitalprojekte ermöglichen. „Wenn 50 Prozent von dem, was die Amerikaner umsetzen wollen, klappen, ist die Welt eine andere“, so Wildberger. Dass es hierzulande oft länger dauert, sei ihm bewusst. Doch er wolle nicht weiter hinnehmen, dass etwa Forschende für KI-Projekte in die USA ausweichen müssen, weil Regulierungen in Deutschland Innovationen abwürgen.
„Wir brauchen eine Gigafactory für KI in Europa“, sagte der Minister auf dem KI-Festival. Sechs Standorte stehen zur Auswahl. Der Bund arbeite zudem an Cloud-Projekten, einem Tech-Stack mit einheitlichen Schnittstellen sowie an einer KI-Plattform namens Kipitz. All das sei notwendig, um den technologischen Rückstand aufzuholen.
Durchdigitalsieren mithilfe von KI
Aber Wildberger denkt auch praktisch: Eine KI-gestützte Lösung für Einwohnermeldeämter ist bereits
in Arbeit. Ziel sei es, den gesamten Prozess „durchzudigitalisieren“ – vom Formular bis zur Bescheinigung. „Wir wollen das im großen Stil machen und gezielt junge Unternehmen einladen.“ Zudem steht die 24-Stunden-Unternehmensgründung auf seiner To-do-Liste. Schleswig-Holstein und die Bundesnotarkammer arbeiten bereits daran – ein Pilotprojekt, das laut Wildberger bald startklar sein soll.
Doch nicht alles ist nur Technik. Für Wildberger ist Künstliche Intelligenz zugleich eine kulturelle Aufgabe: „Wir haben uns angewöhnt, sofort die Risiken zu sehen, sobald irgendwo eine Chance auftaucht.“ Diese Haltung müsse sich ändern – auch in der Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. „Ich nehme die Sorgen der Menschen ernst. Aber Zukunft entsteht nicht aus Risikoangst.“
Den föderalen Wildwuchs bei der Verwaltungsdigitalisierung sieht er selbstkritisch: „Wir haben es geschafft, aus 575 Leistungen über 6.000 Varianten zu bauen – das ist absurd.“ Jetzt soll mit Standards und Missionsteams gegengesteuert werden. Acht davon sind bereits aktiv, weitere in Planung. Am Ende seines Auftritts auf dem BIG BANG KI FESTIVAL sagte Wildberger, dass es nicht nur um technische Lösungen gehe. Vielmehr darum, „eine KI zu entwickeln, die unsere Wertebasis vertritt“ – und damit ein Gegenmodell zu amerikanischen oder chinesischen Angeboten zu schaffen. Dafür brauche es Mut, Geschwindigkeit und einen politischen Rahmen, der Innovationen nicht ausbremst, sondern ermöglicht. „Machen ist wie Wollen – nur krasser“, zitiert Wildberger zum Schluss einen Spruch aus der Digitalwelt. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Bundesregierung diesmal wirklich auf das Machen konzentriert.

