DUP UNTERNEHMER-Magazin: Wie erklären Sie einer Person, die sich bisher wenig mit KI beschäftigt hat, was „KI-Agent“ bedeutet und was das Neue an Multi-Agenten-Systemen ist?
Ulrich Faisst: KI-Agenten sind die nächste Evolutionsstufe der Künstlichen Intelligenz. Viele kennen bisher vor allem die sogenannten Large Language Models (LLMs), also Systeme wie ChatGPT, die auf Fragen reagieren und Wissen bereitstellen. Ein KI-Agent geht einen entscheidenden Schritt weiter: Er reagiert nicht nur auf Anweisungen, sondern bekommt ein Ziel gesetzt und arbeitet selbstständig und proaktiv darauf hin. Er plant die notwendigen Schritte, sucht Informationen, nutzt externe Anwendungen wie Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM), trifft Entscheidungen und führt Aktionen aus.
Kurz gesagt wird der Agent vom passiven Werkzeug zum aktiven digitalen Kollegen, der Probleme im operativen Geschäft eigenständig löst. Richtig spannend wird es mit Multi-Agenten-Systemen. Dabei arbeiten mehrere spezialisierte Agenten zusammen, ähnlich wie ein Expertenteam. Ein Agent analysiert Daten, ein anderer kalkuliert Kosten, und ein dritter übernimmt die Kommunikation mit dem Kunden. Sie tauschen Informationen aus, koordinieren sich und kollaborieren auch mit den Menschen. So lassen sich ganze Geschäftsprozesse intelligent und autonom über Abteilungen oder sogar Unternehmensgrenzen hinweg steuern.
Wo begegnen uns solche Agenten heute schon – bewusst oder unbewusst – im beruflichen Alltag? Und was wird sich in den nächsten Jahren daran grundlegend verändern?
Faisst: Vorneweg: Vollwertige Multi-Agenten-Systeme stehen heute noch am Anfang. Die Konzepte dazu existieren zwar schon lange, und es wird aktuell fleißig an der Umsetzung gearbeitet. Bis unternehmensübergreifende Multi-Agenten-Systeme jedoch betriebsreif sind, werden sicher noch ein bis zwei Jahre vergehen.
Aber Vorläufer begegnen uns jetzt schon im Arbeitsalltag. Viele nutzen sie, ohne es zu merken: Wenn das CRM automatisch Leads priorisiert, eine Buchhaltungssoftware Rechnungen erkennt und bucht oder ein digitaler Assistent Termine koordiniert, dann sind das bereits einfache Agenten, die eigenständig Aufgaben übernehmen. Der große Sprung kommt in den nächsten ein bis zwei Jahren: von der punktuellen Unterstützung hin zur echten Autonomie. Dann werden Agenten nicht mehr nur assistieren, sondern ganze Wertschöpfungsketten selbstständig steuern.
Auch wenn Agenten zunehmend Entscheidungen treffen, bleibt der Mensch unverzichtbar. KI kann analysieren, planen und Empfehlungen aussprechen – doch sie ersetzt nicht die rechtliche und moralische Verantwortung, die der Mensch trägt
Ulrich Faisst, All for One Group
Was passiert, wenn mehrere solcher Agenten nicht nur innerhalb eines Unternehmens, sondern auch zwischen Unternehmen oder in einem ganzen Ökosystem zusammenarbeiten?
Faisst: Wenn Multi-Agenten-Systeme nicht an der eigenen Firewall haltmachen, entsteht die nächste Stufe der digitalen Wertschöpfung: das selbstregulierende, vernetzte Ökosystem. Agenten tauschen in Echtzeit Informationen aus, delegieren Aufgaben und lösen Aktionen über Unternehmensgrenzen hinweg aus. Sie können automatisch Verträge aushandeln, Lieferketten optimieren oder Preise dynamisch anpassen – fast ohne menschliche Eingriffe. So entwickelt sich die Künstliche Intelligenz von einer internen Ressource hin zu einem integralen Bestandteil eines vernetzten wirtschaftlichen Organismus.
Die Folge ist ein radikaler Effizienzgewinn: Manuelle Abstimmungsprozesse entfallen, Reibungsverluste werden minimiert, und die Resilienz des Ökosystems steigt durch schnelle Anpassung an Störungen. Gleichzeitig tauchen neue Fragen auf: Wie vertrauenswürdig sind fremde Agenten? Welche Standards – APIs, Protokolle et cetera – ermöglichen reibungslose Zusammenarbeit? Unternehmen müssen Sicherheits-, Datenschutz- und Ethikprotokolle sowie technische Standards definieren, um die Interaktion kontrollierbar und sicher zu gestalten.
Wenn KI-Agenten zunehmend Entscheidungen treffen, wo bleibt dann der Mensch? Welche Aufgaben und Verantwortungen werden in Zukunft wichtiger denn je?
Faisst: Auch wenn Agenten immer mehr Entscheidungen treffen, bleibt der Mensch unverzichtbar. KI kann analysieren, planen und Empfehlungen aussprechen, doch sie kann die rechtliche und moralische Verantwortung, die der Mensch trägt, nicht ersetzen. Die Aufgaben verschieben sich: Menschen übernehmen weiterhin die strategische Verantwortung, sie setzen die Rahmenbedingungen, definieren die Ziele und Prioritäten und treffen die finalen Entscheidungen.
KI kann Vorschläge liefern, aber sie kann nicht die Vision des Unternehmens oder die langfristigen Konsequenzen verantworten. Ebenso bleibt die ethische und moralische Verantwortung in menschlicher Hand. Agenten handeln nach programmierten Regeln, aber wir als Menschen entscheiden über die genutzten Daten, die Algorithmen und die Leitplanken. Schließlich besitzt der Mensch unschlagbare Stärken in unkonventioneller Kreativität, Intuition, Empathie und zwischenmenschlicher Führung. Mitarbeitende entwickeln Ideen, motivieren Teams und verhandeln auf Augenhöhe – Fähigkeiten, die Agenten nicht ersetzen können. Der Mensch bleibt der strategische Kopf und der ethische Kompass. Seine Rolle verlagert sich von der Entscheidungsfindung hin zur Entscheidungsüberwachung und zur Sinnstiftung.


