Wird China die neue digitale Weltmacht? Diese Frage ist selbst für eine China-Expertin wie Sinologie-Professorin Kristin Shi-Kupfer nicht so leicht zu beantworten. Besonders unter dem aktuellen Staatspräsidenten Xi Jinping sei der technologische Fortschritt der vergangenen Jahre atemberaubend. Gleichzeitig könnten die (digitale) Überwachungsdiktatur und der Konfrontationskurs mit dem Westen für wirtschaftliche Spannungen sorgen.
Auf dem Weg zur Weltmacht
Expertin Shi-Kupfer: Nur so wird eine politische Öffnung Chinas möglich sein
China will bis 2049 die führende Weltmacht werden. Digitale Technologien spielen dabei eine entscheidende Rolle, erklärt die China-Expertin und Professorin Kristin Shi-Kupfer. Skeptisch ist sie hingegen in der Taiwan-Frage und ob unter Staatspräsident Xi Jinping eine Politik der Öffnung möglich sein wird.

09.06.2023

Kristin Shi-Kupfer
ist Professorin für Sinologie an der Universität Trier. In ihrem aktuellen Buch „Digit@l China“ beschreibt sie Chinas rasanten Weg der Digitalisierung
Worin liegt der kulturelle Unterschied zwischen dem Westen und China im Umgang mit neuen Technologien?
Kristin Shi-Kupfer: Grundsätzlich blickt die chinesische Gesellschaft viel offener und optimistischer auf neue Technologien. Zum Beispiel ist die Begeisterung, mithilfe von Künstlicher Intelligenz Probleme oder Herausforderungen lösen zu können, viel größer als etwa in Deutschland. Eine Offenheit zum lebenslangen Lernen ist zudem in der chinesischen Kultur verankert.
Der ethische Umgang mit Künstlicher Intelligenz wird in westlichen Ländern derzeit kontrovers diskutiert. Viele Menschen fordern gar einen vorübergehenden Entwicklungsstopp von KI-gestützten Anwendungen, bis ein einheitlicher Regulierungsrahmen erstellt ist. Wie blicken die Menschen in China auf das Zusammenspiel zwischen Ethik und KI?
Shi-Kupfer: Die Debatte um Künstliche Intelligenz und Ethik wird in China trotz aller Zensur durchaus ambivalent geführt. Aus Sicht der Kommunistischen Partei sind allein skrupellose Unternehmen und kriminelle Einzelpersonen für ethischen Missbrauch verantwortlich. Eigene Verstöße sieht Beijing nicht beziehungsweise will diese nicht thematisieren. Die großen Technologie-Firmen wie Alibaba, Tencent oder Baidu bringen mit Blick auf die Kundenbindung Vorschläge zu Ethik-Vorsätzen im Umgang mit digitalen Technologien ein. Aus der Wissenschaft und Forschung fordern interessierte Bürgerinnen und Bürger einen transparenteren und offeneren Diskurs, der sich an Vorstellungen vom Schutz der individuellen Freiheit, der Würde des Menschen sowie der Privatsphäre orientiert. Diese Debatten bewegen sich aufgrund der Zensur natürlich auf einem schmalen Grat, der sich – wenn überhaupt – erst nach der Regierungszeit von Xi Jinping zu einem offeneren Austausch entwickeln dürfte. Grundsätzlich sollten diese Debatten aber auch im Interesse der chinesischen Regierung liegen, wenn sie ihrem Anspruch, im Bereich der digitalen Technologien die führende Weltmacht zu werden, gerecht werden wollen.
Sehen Sie einen Kampf der Systeme zwischen den liberalen Demokratien des Westens und der totalitären Regierung der Kommunistischen Partei Chinas?
Shi-Kupfer: Ja, das kann man so sagen. Die chinesische Regierung unter Xi Jinping hat früh erkannt, welche transformativen Veränderungen durch digitale Technologien möglich sind. Sie nutzt diese als Herrschaftsinstrument. Die chinesische Gesellschaft wird unter Xi Jinping zunehmend durch die totalitäre Staatsdoktrin der Kommunistischen Partei kontrolliert; Menschen, die sich für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit einsetzen, werden verhaftet. Diese Politik wird immer damit gerechtfertigt, die gesellschaftliche Stabilität und Effizienz zu wahren.
Wie groß sind die Verflechtungen in China zwischen Technologie-Unternehmen und der Regierung?
Shi-Kupfer: Jedes große Privatunternehmen benötigt entsprechende Unterstützung des chinesischen Staates. Das Telekommunikationsunternehmen Huawei etwa wurde sehr stark gefördert und protektionistisch in bestimmte Marktsegmente gelenkt, die anderen Unternehmen verwehrt blieben. Bei den Tech-Giganten Baidu, Tencent oder Alibaba sind zudem auch Parteikader im Management vertreten. Ohne Zutun der Regierung wird kein Unternehmen erfolgreich.
Start-ups aus China im Bereich der digitalen Technologien blühen seit Jahren auf. Welche drei noch unbekannten jungen Unternehmen sind die künftigen Stars der Digitalwelt?
Shi-Kupfer (lacht): Wenn ich die nur kennen würde... Festzuhalten ist, dass China insgesamt im Bereich der inkrementellen Innovation sehr viel besser ist, als wir das lange Zeit gedacht haben. Nehmen wir Momenta, ein 2016 gegründetes Start-up im Bereich autonomes Fahren, das mittlerweile mit vielen großen Autoherstellern kooperiert, bei uns aber wohl kaum bekannt ist. Jüngst allerdings ringen chinesische Start-ups aufgrund der internationalen Spannungen mit ihrem chinesischen Hintergrund und wollen ihren Firmensitz samt Kapitel lieber nach Singapur verlegen, wo sie leichter nationale und internationale Investoren gewinnen können.
Kann China sein ambitioniertes Ziel halten und bis 2049 die führende Weltmacht sein?
Shi-Kupfer: Das hängt von mehreren Faktoren ab. Die Wachstumskurve von Chinas Wirtschaft verläuft längst nicht mehr so linear – auch bedingt durch die restriktiven Maßnahmen der Regierung gegen die Covid-19-Pandemie. Hinzu kommen die hohe Verschuldung von Staatsunternehmen und lokalen Provinzregierungen. Auch die Taiwan-Frage spielt hier natürlich eine große Rolle. Sollte China eine Blockade in der Taiwanstraße errichten oder eine größere militärische Operation durchführen, gerät der Welthandel durcheinander. Die dann wohl beschlossenen Sanktionen des Westens und Lieferengpässe wären für China ebenso gefährlich wie der dadurch verursachte Vertrauensverlust in der Welt.
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