Zu Jahresbeginn untermauerten erst China und dann die USA ihren Anspruch auf die Vormachtstellung bei Künstlicher Intelligenz (KI). Am 20. Januar präsentierte das chinesische Start-up Deepseek sein KI-Modell R1, das die Überlegenheit der deutlich teureren US-Pendants auf einen Schlag zu pulverisieren schien. Einen Tag später konterte Donald Trump mit dem nach seinen Worten größten KI-Infrastrukturprojekt der Geschichte: dem 500 Milliarden Dollar schweren „Stargate“-Programm. Das Joint Venture von Softbank, Oracle und OpenAI soll den Vereinigten Staaten die KI-Poleposition sichern.
Hunderte Milliarden KI-Investitionen für Europa
Und die Europäer? Schienen im KI-Wettlauf noch weiter zurückzufallen. Doch dann kam ein Lebenszeichen vom „alten Kontinent“: Beim lange vorbereiteten AI Action Summit am 10. und 11. Februar in Paris warf Europa mit Investitionsversprechen im dreistelligen Milliardenbereich seinen Hut in den Ring. So versprach Gastgeber Emmanuel Macron 109 Milliarden Euro von internationalen Investoren für Frankreichs KI-Infrastruktur. Die „KI-Champions-Initiative“ – ein Zusammenschluss europäischer Unternehmen und internationaler Kapitalgeber um die Wagniskapitalinvestorin Jeannette zu Fürstenberg – stellte in den kommenden fünf Jahren 150 Milliarden Euro in Aussicht. Und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stockte diese Summe mit der Initiative „Invest AI“ um 50 Milliarden auf. Das Ziel: Europa zu einem der führenden KI-Kontinente zu machen.
Europas Stärke ist Kooperation
Sorgen diese KI-Investitionen jetzt für den Kickstart, mit dem Europa endlich zu den USA und China aufholen wird? „Deutschland und Europa haben das Rennen um KI noch lange nicht verloren, nur müssen wir endlich das Warmmachen beenden und uns am Wettlauf beteiligen“, mahnt Susanne Dehmel, Mitglied der Geschäftsleitung des deutschen Digitalverbands Bitkom. „Die Stärke Europas ist dabei die Kooperation, nicht der nationale Unter- oder Überbietungswettbewerb.“
Denn bei der Infrastruktur sind die USA nach wie vor haushoch überlegen. „Europa verfügt derzeit über lediglich vier Prozent der weltweiten KI-Rechenkapazität, während die USA 70 Prozent kontrollieren“, sagt Dr. Anselm Küsters, Fachbereichsleiter für Digitalisierung und Neue Technologien am Centrum für Europäische Politik (cep) in Berlin. Hinzu kommt: „Die strukturellen Herausforderungen – von den höheren Energiekosten bis zur fragmentierten Kapitallandschaft – bleiben bestehen.“
Dem Mittelstand konkret weiterhelfen
Amerikanische Tech-Konzerne oder chinesische Start-ups dürfte Europa bei der Entwicklung der sogenannten Large-Language-Modelle (LLM) wie ChatGPT, Perplexity oder Deepseek kaum ein- oder gar überholen. Küsters hält diesen Wettlauf allerdings ohnehin für einen Fehler. „Statt mit amerikanischen Hyperscalern um die nächste 100-Milliarden-Parameter-Architektur zu konkurrieren, könnte der Fokus auf kleinen Sprachmodellen (SLMs) liegen, die für spezialisierte Aufgaben optimiert sind – Aufgaben, die unserem Mittelstand konkret weiterhelfen.“ SLMs sind schneller, ressourcenschonender und kostengünstiger als LLMs. Sie werden etwa bei der vorausschauenden Wartung von Maschinen, Chatbots oder der Analyse von Sensordaten in der Robotik eingesetzt.
Perspektivwechsel gefragt
Die milliardenschweren Investitionszusagen für KI sind wichtig. Doch damit Europa vorankommt, reicht Geld allein nicht. „Wir müssen vor allem den Regulierungsrahmen lockern“, fordert Dehmel. Denn der EU AI Act gilt als Innovationsbremse und Investorenschreck. „Dabei geht es kurzfristig nicht darum, den AI Act wieder aufzuschnüren, es geht vor allem um eine praxistaugliche und innovationsfreundliche Umsetzung“, so Dehmel. Es brauche einen Perspektivwechsel, der weniger die Bedrohung durch KI als vielmehr deren Chancen für Wohlstand, Wachstum und Souveränität in den Mittelpunkt rücke. Von der Leyen soll in Paris bereits die Bereitschaft zu einer gewissen Deregulierung signalisiert haben.
Deutsche KI-Fabrik
Immerhin – in Deutschland sei das Fundament gelegt, auf dem sich KI in Unternehmen hierzulande optimal einsetzen ließe, so Küsters: „Wir sollten die neuen europäischen KI-Fabriken und -Gigafabriken, wie sie etwa am Standort Jülich bereits ausgestattet werden, aktiv nutzen, um ein innovatives Ökosystem aus Start-ups, Mittelstand und Forschung zu etablieren.“ Im nordrhein-westfälischen Forschungszentrum Jülich entsteht derzeit eine von 13 europäischen KI-Fabriken. Noch im ersten Halbjahr soll hier einer der weltweit schnellsten Computer in Betrieb gehen. Dessen Rechenleistung können auch KI-Start-ups, kleine und mittelgroße Unternehmen sowie Forschende nutzen. Die deutsche Industrie sieht Küsters ebenfalls als echten Vorteil. „Die Integration von KI in die Fertigungs-, Energie- und Automobilsektoren könnte ein ‚German AI Way‘ sein, der unsere wirtschaftliche DNA mit KI-Innovation verbindet.“
Mit KI-Investitionen einen Schritt nach vorn machen
Mehr KI-Investitionen und weniger Regulierung – so könnten Europa und Deutschland bei der Zukunftstechnologie tatsächlich einen deutlichen Schritt nach vorn machen. Oder wie von der Leyen beim Pariser KI-Gipfel sagte: „Europa hat alles zu gewinnen.“