Bundestagswahl 2025

Christian Lindner, FDP: „Es besteht die Gefahr einer Staatsschuldenkrise“

Die politischen Zeichen stehen auf Neustart in Deutschland: Am 23. Februar 2025 findet die vorgezogene Bundestagswahl statt, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage gestellt hatte. FDP-Chef Christian Lindner beantwortete die Fragen der Spitzenverbände dabei wie folgt.

Porträt von FDP-Chef Christian Lindner

10.02.2025

Das Ampel-Aus war der Tiefpunkt einer Reihe von öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen und Querelen auf der Regierungsbank zwischen SPD, Grünen und FDP. Danach folgte eine regelrechte Schlammschlacht zwischen den ehemaligen Regierungs- und Oppositionsparteien. Während der Ausgang der Wahl noch gänzlich ungewiss ist, hoffen hiesige Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Vertreter führender Verbände, dass es mit der deutschen Wirtschaft nach den Wahlen endlich wieder aufwärts geht.

Unter dem Titel „Hören Sie uns?“ hat DUP UNTERNEHMER die Fragen einiger Spitzenverbände zu den Themen Wirtschaft, Steuern, Digitalisierung und Energiepolitik gesammelt und sie den Spitzen- und Kanzlerkandidatinnen sowie -kandidaten der demokratischen Parteien gestellt. FDP-Chef Christian Lindner beantwortete die Fragen der Spitzenverbände dabei wie folgt.

Marie-Theres Husken: Der Investitionsbedarf in Deutschland staut sich auf mehrere Hundert Milliarden Euro. Wie stellen Sie sicher, dass in der nächsten Legislatur in diesem Rahmen investiert wird? Muss die Schuldenbremse dazu modifiziert werden? 

Christian Lindner: Selbst wenn es gelänge, in nur vier Jahren Mittel in dieser Höhe zu mobilisieren, könnte der Staat die Milliarden überhaupt nicht in so kurzer Zeit investieren, weil er bei den Planungs- und Genehmigungsprozessen zu langsam ist. Für deren Beschleunigung unterbreiten wir umfassende Vorschläge. Wir plädieren energisch für die Beibehaltung der Schuldenbremse in der aktuellen Form. Denn die Erfahrung zeigt, dass zusätzliche Schulden vor allem in den weiteren Aufwuchs des Sozialstaats fließen und gerade nicht in die Infrastruktur, die Bildung oder die Landesverteidigung. Allgemein hat unser Staat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem.

Wir werden die vorhandenen Einnahmen so priorisieren, dass Zukunftsinvestitionen Vorfahrt bekommen. Mit gezielten Steuersenkungen und Bürokratieabbau sorgen wir für mehr Wirtschaftswachstum. Das stärkt die Einnahmebasis nachhaltig und ermöglich mehr Investitionen, ohne das Land in eine Abwärtsspirale aus immer weiter steigenden Schulden und Zinsrisiken zu stürzen. Auf jeden Fall gilt: Ohne strikte Regeln besteht die Gefahr, dass die Finanzmärkte abrupt auf die zu hohe Verschuldung reagieren und es zu einer Staatsschuldenkrise wie 2010-2012 kommt.

Inken Patermann, Verband der Unternehmerinnen (VdU): Wie planen Sie, die Steuerlast für KMU zu reduzieren, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und deren Innovationsfähigkeit zu fördern?

Lindner: Wir brauchen international wettbewerbsfähige Unternehmenssteuern. Die Unternehmenssteuerbelastung wollen wir auf unter 25 Prozent absenken. Wir schaffen hierfür den Solidaritätszuschlag vollständig ab, senken die Körperschaftsteuer und vermeiden konsequent Doppelbesteuerungen. Liquidationsverluste wollen wir steuerlich berücksichtigen. Mehr Unternehmen als bisher sollen die Möglichkeit zur Ist-Besteuerung bei der Umsatzsteuer und zur vereinfachten Gewinnermittlung erhalten. Kleinunternehmen erhalten ein Wahlrecht auf Abzug einer prozentualen Betriebsausgabenpauschale. Die Existenz von Unternehmen darf nicht durch die Erbschaft- und Schenkungsteuer gefährdet sein. Wir fordern, dass die Freibeträge automatisch um die Inflationsrate erhöht werden.

Dirk Freytag: Wie planen Sie konkret die Struktur und Aufgaben der deutschen Behörden zu reformieren, um Verfahren zu vereinfachen, Austausch und Beratung sowie Innovation in den Mittelpunkt zu stellen (z.B. im Datenschutz) und dadurch Unternehmen und Bürger*innen zu entlasten?

Lindner: Die föderale Struktur und Verwaltung in Deutschland braucht ein Update, damit Effizienz und Bürgerfreundlichkeit in den Mittelpunkt gestellt werden. Dafür braucht es als ersten Schritt eine Generalinventur. Das bedeutet für uns vor allem, dass eine zentrale Instanz zur einheitlichen Digitalisierung der Verwaltung geschaffen werden muss. Wir werden daher ein Bundesministerium für Digitalisierung einrichten, das als zentrale Instanz die Digitalisierung der Verwaltung bundesweit einheitlich steuert.  Dafür werden wir diesem neuen Ministerium die Befugnis zuweisen, Projekte anderer Ministerien auf die Einhaltung zentraler digitaler Standards und die Kohärenz mit der nationalen Digitalstrategie zu prüfen und bei Bedarf anzupassen. Hierdurch schaffen wir verbindliche Rahmenbedingungen für Interoperabilität, Cybersicherheit und nachhaltige digitale Infrastruktur. 
 
Ein zentrales Element für eine erfolgreiche Verwaltungsdigitalisierung wird das ‚Government as a Platform‘-Modell (GaaP) sein. Hierfür wird eine übergreifende Infrastruktur bereitgestellt, auf die alle Behörden über die verschiedenen föderalen Ebenen hinweg zugreifen müssen– sei es für Identitätsmanagement, Zahlungsabwicklungen oder Terminbuchungen. Durch modulare digitale Bausteine machen wir Verwaltungsprozesse schneller und kostengünstiger. Auch der Datenschutz muss effizienter gestaltet werden. Dazu müssen die 18 deutschen Datenschutzbehörden endlich einheitliche Standards anwenden. Dies wollen wir dadurch erreichen, dass diese Behörden durch einen einfachen Mehrheitsbeschluss der Datenschutzkonferenz rechtsverbindliche Anwendungsregeln beim Datenschutz schaffen, die dann deutschlandweit auf allen Verwaltungsebenen gelten.

Dirk Freytag: Wie werden Sie mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit Deutschlands einen stärkeren Gestaltungsspielraum etablieren, der insbesondere ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen datengetriebener Innovation und dem Schutz von Daten sicherstellt? 

Lindner: Um Deutschland zukunfts-, wettbewerbs- und innovationsfähig zu machen, setzen wir uns für Reformen ein, um weiteren Handlungsspielraum zu ermöglichen. Ein bundeseinheitliches effizientes Datenschutzrecht ist dafür unbedingt erforderlich. Dafür müssen die 18 deutschen Datenschutzbehörden endlich einheitliche Standards anwenden. Dies wollen wir dadurch erreichen, dass diese Behörden durch einen einfachen Mehrheitsbeschluss der Datenschutzkonferenz
rechtsverbindliche Anwendungsregeln beim Datenschutz schaffen, die dann deutschlandweit auf allen Verwaltungsebenen gelten. 

Darüber hinaus sprechen wir uns für den Erhalt der Netzneutralität aus, um einen fairen Zugang zu den Ressourcen Internet sowie Daten zu gewährleisten. Durch die Gleichbehandlung sämtlicher Datenpakete stellen wir sicher, dass das Internet diskriminierungsfrei bleibt und alle Unternehmen, insbesondere Startups sowie kleine und mittlere Unternehmen, einen fairen Zugang zum Internet haben. Durch den Data-Act und verwandte europäische Regelungen stellen wir sicher, dass auch KMU einen gesicherten Zugang zu großen Datenmengen bekommen und innovative Geschäftsmodelle entwickeln können.

Wolfram Axthelm: Welche Maßnahmen muss die nächste Bundesregierung ergreifen, um die Cybersicherheit in der Kritischen Infrastruktur zu gewährleisten?

Lindner: Wir wollen die Cybersicherheit stärken. Sowohl Kriminelle als auch ausländische staatliche oder staatsnahe Akteure setzen gezielt auf Angriffe auf die IT-Infrastruktur. In der Privatwirtschaft und bei staatlichen Institutionen werden diese Angriffe auf die Cybersicherheit noch immer zu spät oder gar nicht erkannt. Ein Grund dafür ist die Zersplitterung der staatlichen Zuständigkeiten. Wir fordern daher eine klare Vorgabe des Prinzips Security by Design.

Diese umfasst die Haftung der Herstellerinnen und Hersteller für Schäden, die fahrlässig durch IT-Sicherheitslücken verursacht werden, sowie eine Verpflichtung der Herstellerinnen und Hersteller, während der üblichen Nutzungsdauer eines Produkts Updates zur Verfügung zu stellen. Bei aller Verkehrsinfrastruktur muss die NIS-2-Richtlinie gegen Cyber-Attacken umgesetzt werden. Wir fordern darüber hinaus ein geordnetes Schwachstellenmanagement, bei dem eine unabhängige Institution den Nutzen einer Schwachstelle gegen den Schaden für die IT-Sicherheit abwägt.

Wenn einer staatlichen Stelle Sicherheitslücken bekannt werden, müssen diese umgehend dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gemeldet werden. Das BSI führt dann eine Schließung der Lücke durch den Hersteller herbei. Wenn dies nicht gelingt, veröffentlicht das BSI die Lücke nach den allgemeinen Grundsätzen der Cybersicherheit. Daher muss die Unabhängigkeit des BSI vom Bundesinnenministerium gesteigert werden.

Wolfram Axthelm: Welche Maßnahmen wollen die Parteien ergreifen, um den Industriestandort Deutschland mit Blick auf die Erneuerbaren Energien zu sichern?

Lindner: Die erneuerbaren Energien sind längst marktreif und benötigen keine Subventionen mehr. Ihr Ausbau ist inzwischen sogar so schnell vorangeschritten, dass das Netz nicht mehr hinterherkommt. Wir setzen uns für ein marktwirtschaftliches Strommarktdesign mit einer marktorientierten Vergütung ohne Subventionen ein. Ein steigender CO2-Preis über den Europäischen Emmissionshandel wird fossile Energie weiter unattraktiv machen und zu einem Ausbau erneuerbarer Energien führen, der von Nachfrage getrieben ist.

Marie-Theres Husken: Welche Maßnahmen schlagen Sie vor, um den Dreiklang aus Energiewende, Versorgungssicherheit und wettbewerbsfähigen Energiekosten zu bewältigen? 

Lindner: Wir brauchen eine rationale Energiepolitik, die Menschen und Unternehmen nicht länger überfordert. Die Energiepreise müssen sinken, sonst wird das Leben unbezahlbar und Deutschland verliert weiter an wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit. Als ersten Schritt wollen wir die Stromsteuer auf das EU-Mindestmaß absenken. Die Netzentgelte sind ein weiterer Treiber der Stromkosten. Wir wollen sie reformieren und regulatorische Hürden für einen schnellen Netzausbau abbauen.

Gleichzeitig streben wir eine bessere Synchronisierung des Netzausbaus mit dem Ausbau von Erneuerbaren Energien, Kraftwerke, Speichern und der Wasserstoffwirtschaft an, um die Effizienz des Gesamtsystems zu steigern. Wir wollen die Gasversorgung in Deutschland durch den Ausbau der heimischen Erdgasförderung diversifizieren. Dazu bieten sich aktuell das Gasfeld in Borkum und Fracking-Verfahren an. Damit Deutschland beim Wasserstoff nicht zurückfällt, fordern wir schnellere Genehmigungen für Elektrolyseure und neue internationale Energiepartnerschaften. Insbesondere wollen wir das Netz in der EU, ihren Beitrittskandidaten und mit Partnern im Mittelmeerraum wie Israel verbessern. Wir wollen die Nutzung klimafreundlicher Zukunftstechnologien wie Kernfusion und sicherer Kernkraftwerke ohne Subventionen ermöglichen.

Das deutsche Atomrecht wollen wir reformieren. Unser Ziel ist, dass Kernkraftwerke der neuen Generation, wie zum Beispiel Small Modular Reactors in Deutschland rechtssicher gebaut werden können. Für die Kernfusion wollen wir einen innovationsfreundlichen Rechtsrahmen außerhalb des Atomrechts schaffen.

Porträt von FDP-Chef Christian Lindner

Christian Lindner

ist bei der Bundestagswahl 2025 Spitzenkandidat der FDP, der er seit Dezember 2013 als Bundesvorsitzender vorsteht. Lindner war von Dezember 2021 bis zum Bruch der Ampelkoalition im November 2024 Bundesminister der Finanzen