Gastbeitrag Prof. Dr. Stephan Böhm und Dr. med. Ursula Marschall

Zunehmende Isolation könnte zum Ansteigen psychischer Erkrankungen führen

Die Bundesregierung entschied sich gemeinsam mit den Regierungschefinnen und -chefs der Bundesländer dazu, die am 3. November 2020 erwirkten Corona-Maßnahmen fortzuführen und zu verschärfen. Das soziale Leben bleibt dadurch weiter eingeschränkt. Auch die Kontakte im kollegialen Kreis sind stark betroffen. Deshalb scheint es umso wichtiger, dass in Zeiten von zunehmender Heimarbeit soziale Beziehungen im Arbeitsumfeld deutlich mehr gefördert werden.

27.11.2020

In der mehrjährigen bevölkerungsrepräsentativen Längsschnittanalyse „social health@work“ mit mehr als 8.000 Befragten suchen Forscher der Universität St.Gallen und Experten der BARMER nach evidenzbasierten Anhaltspunkten, wie Menschen in Zeiten von Pandemie, Digitalisierung und Flexibilisierung von Arbeit, gesund und leistungsfähig bleiben können. Ein klares Ergebnis: Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind gefordert, die soziale Gesundheit ihrer Beschäftigten zu fördern und einer drohenden Vereinsamung entgegenzuwirken. Durch die räumliche Distanz kann schnell das Gefühl aufkommen, zum Kollegenteam nicht mehr dazuzugehören. Die Studie zeigt, dass sich jeder vierte (22,2 Prozent) mobile Beschäftigte in Deutschland dem eigenen Team nicht voll zugehörig fühlt. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten gewarnt sein, denn soziale Isolation führt zu psychischem Stress. Laut BARMER Gesundheitsreport 2020 sind psychische Krankheiten mittlerweile der zweithäufigste Grund für eine Krankmeldung.

Ein hoch entwickeltes Zugehörigkeitsgefühl im kollegialen Team und zur Führungskraft ist essentiell für die Gesundheit und Performanz von Beschäftigten: So zeigen mobile Beschäftigte mit einem stark ausgeprägten Inklusionsgefühl unter anderem eine um 23,9 Prozent geringere emotionale Erschöpfung, eine um 33,9 Prozent höhere psychische Arbeitsfähigkeit und eine um 48,2 Prozent geringere Kündigungsabsicht als diejenigen mit geringerer sozialer Inklusion in ihrem Team.

Die soziale Einbindung lässt sich mittels des St.Gallen Inclusion Index messen. Dieser umfasst die vier Dimensionen der Zugehörigkeit, Authentizität, Chancengleichheit sowie Perspektivenvielfalt. Ein starkes Klima der Inklusion kann der ungewohnten räumlichen Isolation entgegenwirken und Stress reduzieren. Gesundheit und Wohlbefinden entstehen vor allem durch die Art der Einbindung in menschliche Beziehungen und Gemeinschaften, unabhängig vom konkreten Arbeitsort. Die folgende Abbildung zeigt Zustimmungswerte für Deutschland, unterschieden nach Männern und Frauen sowie Führungskräften und Mitarbeitenden.

Zwischenergebnis Längsschnittanalyse „social health@work“

Prof. Dr. Stephan Böhm

ist Assoziierter Professor für Diversity Management und Leadership an der Universität St. Gallen, Schweiz. Er leitet als Direktor das Center for Disability and Integration an der Universität St. Gallen (CDI-HSG)

Dr. med. Ursula Marschall

Marschall ist Forschungsbereichsleitung Medizin/Versorgungsforschung im BARMER Institut für Gesundheitssystemforschung und Fachärztin für Anästhesie