Unternehmen können sich nur dann zukunftsfähig aufstellen, wenn sie Hierarchieebenen, Entscheidungsprozesse und ihre Organisation grundlegend überdenken. Einfach nur digitale Tools zu implementieren, reicht nicht aus. Die SBK hat im vergangenen Jahr trotz der Coronapandemie tiefgreifende Change-Prozesse angeschoben und sich eine neue Gremienstruktur verpasst. Vorständin Gertrud Demmler erklärt: „Wir haben festgestellt, dass Hierarchie alleine keine guten Entscheidungen trifft, weil oft komplexe Fachperspektiven nötig sind.“
Change-Management bei der SBK
Veränderungsprozesse: Es geht nur gemeinsam
Die Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) hat während der Coronapandemie umfassende Veränderungsprozesse angestoßen. Im Interview spricht Vorständin Dr. Gertrud Demmler über neue Strukturen, neues Arbeiten und junge Mitarbeiter, die aus einer anderen Erfahrungswelt kommen, als sie selbst.


Dr. Gertrud Demmler
promovierte in Volkswirtschaft und ist seit 1998 bei der Siemens- Betriebskrankenkasse (SBK). Dort verantwortete sie vor ihrer Berufung in den Vorstand 2012 u.a. die Geschäftsplanung und Strategie
Welche drei Charakteristika zeichnen einen Arbeitgeber der Zukunft aus?
Dr. Gertrud Demmler: Erstens: Das Arbeiten ist viel flexibler und individueller. An diesem Punkt sind wir aufgrund der Coronapandemie bereits angekommen, es wird in Zukunft aber noch weiter zunehmen. Zweitens: Entscheidungen anders treffen. Unternehmen, die glauben, sie können in der Hierarchie und über Kompetenz hinweg Entscheidungen treffen, haben verloren. Drittens: Die Art des Zusammenarbeitens. Wir müssen verstehen, dass Arbeit nicht nur fachliche Funktionen betrifft. Es geht darum, dass Menschen gut zusammenarbeiten, dann gestalten sie mit. Ich möchte aber noch einen vierten Punkt ergänzen: stabile Unternehmenswerte.
Durch die Coronapandemie hat die Diskussion um den Purpose von Unternehmen neuen Schub bekommen. Wie versucht die SBK diesen Begriff mit Leben zu füllen?
Demmler: Als Krankenversicherung kümmern wir uns, wenn es darauf ankommt. Wir sorgen für die finanzielle Absicherung im Krankheitsfall und organisieren den Zugang zu medizinischer Versorgung. Unsere Versicherten sind unsere Mitglieder, unsere Anteilseigner. Das war schon immer ein starker Purpose – auch und gerade während Corona. In dieser Zeit haben wir auch unsere Unternehmenswerte aktiv diskutiert. Ein stabiles Wertegerüst ist ein guter Kompass bei Entscheidungen und in der Krise.
Sind digitale Tools oder neue Skill- und Mindsets entscheidender für gelungene Change-Prozesse?
Demmler: Alle drei Bereiche sind wichtig. Bei den digitalen Tools haben durch die Pandemie alle gemerkt, wie schnell Veränderungsprozesse möglich sind, wenn es keine Alternative gibt. Bei den Skills wird es schon schwieriger: Führung muss sich im hybriden Kontext verändern. Digitale Kompetenzen sind heute zentral. Und: Wir alle müssen bereit sein, permanent zu lernen. Das verlangt ein Umdenken, ein anderes Mindset. Es geht vor allem darum, Wissen zu teilen, Silos abzubauen und neugierig zu bleiben. Ohne das kann Change nicht gelingen.
Sind die Generationen Y und Z veränderungsbereiter als ihre Elterngenerationen?
Demmler: Bei der SBK rekrutieren wir viel aus der eigenen Ausbildung. Deshalb wachsen wir permanent mit den jungen Generationen. Deren Erfahrungswelten sind andere als meine. Der Wunsch nach Flexibilität ist heute kein Widerspruch mehr zum Bedürfnis nach Stabilität. Insgesamt erlebe ich junge Mitarbeitende als kommunikationsstark, selbstbewusst und kritisch. Das schätze ich sehr.
Die Coronapandemie hat die Welt verändert. Wie ist die SBK durch die vergangenen eineinhalb Jahre gekommen?
Demmler: Wir sind in und mit der Pandemie gewachsen und haben uns verändert. Uns war es wichtig, eine gute Balance zwischen den Anforderungen der Versicherten und den Bedürfnissen unserer Mitarbeitenden zu finden. Als Teil der kritischen Infrastruktur mussten wir auch weiterhin für unsere Versicherten da sein, Pflegeanträge bewilligen, Krankengeld auszahlen et cetera. Auf der anderen Seite waren natürlich auch unsere Mitarbeitenden von der Pandemie, von damit verbundenen Ängsten und Einschränkungen betroffen. Deshalb haben wir früh einen Krisenstab etabliert, der diese Balance immer wieder zu finden versucht hat. Hinzu kam ganz praktisch, dass unsere kundenberatenden Einheiten in der Vergangenheit überhaupt nicht mobil gearbeitet haben. Innerhalb kürzester Zeit haben wir einen Großteil der Mitarbeitenden ins Homeoffice gebracht und mit hoher Flexibilität und Individualität dafür gesorgt, dass unsere Kundinnen und Kunden weiterhin einen guten Zugang zu uns hatten.
SBK setzt auf eine neue Bereichsstruktur mit Gremien statt Hierarchieebenen. Warum ist dieses Modell aus Ihrer Sicht erfolgreicher?
Demmler: Wir haben konkret zwei Veränderungsbedarfe gesehen: Erstens wollten wir unsere Organisation noch kundenzentrierter gestalten. Unsere Bereichsstruktur war am Sozialgesetzbuch orientiert, nicht am Kundenerlebnis. Die Folge war, dass Kundenprozesse immer wieder von Bereichsgrenzen unterbrochen waren. Wir wollen Kundenerlebnisse ganzheitlich denken. Da brauchte es Veränderung. Zweitens haben wir die Erfahrung gemacht, dass das Netzwerk die Hierarchie schlägt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass lineare Entscheidungen heute nicht mehr die Realität abbilden. Eine Entscheidung im Silo kann nie so gut sein, wie eine gemeinsam diskutierte Lösung. Es geht um die Fragen: Wen brauche ich dazu, um gute Entscheidungen zu treffen und wo sitzt die Kompetenz, die das Problem lösen kann? Da merkt man schnell, dass Hierarchie keine kompetenten Entscheidungen trifft. Deshalb haben wir Ende 2019/Anfang 2020 über eine Weiterentwicklung der SBK diskutiert. Dann kam Corona – und mit der Pandemie kam auch die Frage, ob das der richtige Zeitpunkt ist, eine Veränderung anzustoßen. Am Ende haben wir es getan und nicht bereut. Ich würde heute sogar sagen, dass uns die Zusammenarbeit am Kundenerlebnis und im Netzwerk geholfen hat, schneller und agiler auf die Situation zu reagieren.
Welche neuen Skills brauchen Ihre Mitarbeiter, um Ihr Unternehmen fit für die Zukunft zu machen?
Demmler: Gerade wenn wir viel im Netzwerk arbeiten, braucht es die Bereitschaft Wissen zu teilen und eigene Ideen zu challengen. Auch Kommunikationskompetenz und Teamfähigkeit haben einen hohen Stellenwert, stärker noch als in der Vergangenheit. Wenn wir künftig stärker projektbezogen arbeiten, müssen wir uns zudem vom klassischen Stellenbegriff lösen. Unsere Aufgaben und Rollen variieren stärker als früher: Mal steuere ich als Projektleiter, mal agiere ich als Experte – je nachdem, was die Aufgabe oder das Projekt gerade erfordern. Ich hoffe, wir behalten uns etwas von der Lern- und Veränderungsbereitschaft aus der Coronapandemie bei. Wir sollten unsere Energie weniger darauf richten, wochenlang das Ob zu diskutieren, sondern stattdessen das Wie in den Mittelpunkt stellen.

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