Evangelisches Siedlungswerk in Bayern

Mit Mitarbeiterfokus gegen den Fachkräftemangel

Das Evangelische Siedlungswerk in Bayern (ESW) mit Hauptsitz in Nürnberg ist das größte evangelische Wohnungsunternehmen in Deutschland. Geschäftsführer Hannes B. Erhardt berichtet von den größten Risiken und Chancen der Branche.

08.06.2022

Hannes B. Erhardt

ist seit 2008 beim Evangelischen Siedlungswerk in Bayern (ESW) tätig und wurde 2009 zum Geschäftsführer ernannt. Seit Oktober 2011 ist Erhardt Vorsitzender der Geschäftsführung

Was ist aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung für Ihre Branche und Ihr Unternehmen?

Hannes B. Erhardt: Eine der größten Herausforderungen in der Wohnungswirtschaft sind die steigenden Kosten für Grundstücke und Bauen einerseits und der zunehmende Fachkräftemangel andererseits. Disruptoren aus anderen Branchen sind weniger eine Gefahr als ein temporäres hypertrophes Wachstum, das kollabiert, wenn sich die Branche wieder normalisiert.

Wie sichern Sie den Erfolg Ihres Unternehmens für die Zukunft?

Erhardt: Erfolgreiche Unternehmen haben erkannt, dass – neben einem guten Produkt – zufriedene und kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer der größten Erfolgsfaktoren sind und dass diese Einstellung mehr sein muss als ein Buzzword. Wir stellen uns heute für morgen auf. Und das können wir, indem wir eine Arbeitsumgebung schaffen, in der die Mitarbeiter maßgeblich an der Weiterentwicklung des Unternehmens beteiligt sind.

Welche Rolle spielen Innovationen in Ihrem Geschäft

Erhardt: Manchmal muss man sich etwas trauen und das dann durchziehen statt halbe Sachen zu machen. Das kann eine Baumaßnahme sein, bei der man neue Konzepte erprobt, die eigentlich unüblich sind und davon Konzepte ableitet, die man „üblich“ machen kann – wie zum Beispiel ein Passivenergiehaus im Geschosswohnungsbau in Erlangen vergangenes Jahr. Das kann auch die grundlegende Transformation der Arbeitswelt an sich sein, bei der kein Stein mehr auf dem anderen bleibt, bei der man ausgetrampelte Pfade verlässt und neue Wege geht – zum Beispiel mit einem New-Work-Office-Design und einem New-Work-Mindset, das von der Geschäftsführung bis zum Azubi reicht. Das haben wir gerade in unseren Büros in Nürnberg umgesetzt. New Work ist die Antwort auf das New Normal. Essenziell für beides ist: eine gesunde Fehlerkultur. Fehler gehören dazu; Umwege, Kurven und Umleitungen sind natürlicher Teil eines innovativen Entwicklungsprozesses.

Wie wichtig ist für Ihr Unternehmen die Digitalisierung? Welche Ziele haben Sie bei der Transformation bereits erreicht?

Erhardt: Die Digitalisierung ist eines unserer wichtigsten Themen. Dabei geht es nicht um die digitale Abbildung einzelner Prozesse, sondern um das große Ganze. Unerlässlich ist die technische Ausstattung von Mensch und Raum. Wir verfolgen eine One-Device-Strategie: ein Gerät, möglichst viele Anwendungsmöglichkeiten. Das gilt für alle Settings – egal welcher Raum, die Technik funktioniert immer gleich. Für ein optimales Braiding von digital und physical wurden digitale Aspekte bereits bei der Raumkonzeption berücksichtigt. Das fördert die aktive Teilhabe an virtuellen Meetings und damit die hybride Zusammenarbeit. Voraussetzung für kompromisslose Remote-Work ist ein hoher Grad an Digitalisierung. Das große Ziel, das wir inzwischen unternehmensweit zu rund 70 Prozent erreicht haben, ist das papierlose Büro. Nur dann wird Work-Life-Blending – die individuelle Überlagerung von beruflichen und privaten Aktivitäten – möglich.

In welchem Bereich haben Sie derzeit den größten Bedarf an Mitarbeitenden? Und welche Ihrer Recruiting-Maßnahmen hat sich am meisten bewährt?

Erhardt: Die Immobilienwirtschaft sucht Fachkräfte in quasi allen Bereichen: von Architekten über Immobilienkaufleute bis zu sämtlichen Handwerksberufen. Die beste Recruiting-Maßnahme ist Word-to-Mouth, also die kollegiale Weiterempfehlung. Der Wettbewerb ist groß; in allen Städten gibt es zahlreiche Mitbewerber. Die Reputation ist somit das höchste Gut im Ringen um Fachkräfte.

Nennen Sie uns drei Gründe, warum die besten Talente zu Ihnen kommen sollten.

Erhardt: Talente kommen zu uns, weil wir ein Feel-good-Gesamtpaket anbieten. Mobiles Arbeiten nimmt seit Jahren stark zu; die Pandemie hat diese Entwicklung katalysiert. Dazu kommen die Ansprüche heutiger Fachkräfte an den Job – wobei Geld oft nicht mehr ausschlaggebend ist. Neben allen Vorteilen gehen damit auch Fliehkräfte einher. In dieser Zeit der Digitalisierung, aber auch der Individualisierung hat das ESW eine Arbeitswelt und -kultur geschaffen, die New Work lebt: Flexibilität und Individualität, Eigenverantwortung und Teilhabe, kreative Kollaboration und hybrides Miteinander, Führen auf Augenhöhe. Aus diesen Gründen kommen Fachkräfte zu uns – und noch wichtiger: aus diesen Gründen bleiben sie bei uns. Nur so ist es möglich, dass über 30 Prozent unserer Mitarbeiter bereits seit ihrer Ausbildung im Unternehmen sind. Das Ergebnis: eine gesunde Mischung aus Routiniers und jungen Wilden.

Und mit welchen Maßnahmen entwickeln Sie Ihre Mitarbeiter weiter und steigern deren Zufriedenheit?

Erhardt: Wir haben eine ausgeprägte Reflexions- und eine gesunde Fehlerkultur etabliert. Dabei gibt es Settings, in denen ein direkter Austausch zur persönlichen Situation möglich ist, aber auch Formate, in denen anonyme Räume zur Kommunikation von Entwicklungspotenzialen gegeben sind. In beiden Kontexten lassen wir uns regelmäßig durch externe Experten unterstützen.