Gibt es CEOs von Tech-Konzernen, die empathisch und menschenzentriert führen? Wer ist also in Ihren Augen ein Vorbild?
Maëlle Gavet: Im Tech-Sektor fallen mir da vor allem Microsoft-CEO Satya Nadella and Salesforce-Gründer Marc Benioff ein.
Wie würden Sie zum Beispiel Elon Musk beschreiben? Was zeichnet ihn Ihrer Meinung nach aus?
Gavet: Elon Musk stand beziehungsweise steht noch immer an der Spitze vieler außergewöhnlicher Unternehmen – etwa PayPal, Tesla, SpaceX. Und wie viele andere Chefs und Gründer von außergewöhnlichen Unternehmen hat Musk eine überlebensgroße Persönlichkeit. Er ist kreativ, visionär, aber auch exzentrisch. Er neigt dazu, die Realität zu verbiegen, hat scheinbar eine schlechte Verhaltenskontrolle, aber auch ein eindrucksvolles Selbstwertgefühl.
Wie ist es denn um sein Personalmanagement bestellt?
Gavet: Elon Musk ist berüchtigt dafür, Angestellte zu wahnsinnigen Arbeitszeiten zu zwingen und ein extremer Mikromanager zu sein. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass Musk eine unglaublich innovative Person ist, die es geschafft hat, mehr als nur eine Branche zu disruptieren. Er fasziniert seine Gefolgschaft mit seiner Vision und Arbeitsmoral. Ich habe allerdings noch niemanden getroffen, der ihn für einen großartigen Personalmanager hält.
Sie sagen, den Chefs von BigTechs fehle es an Empathie. Was zeichnet denn ein menschenzentriert geführtes Unternehmen aus?
Gavet: In empathisch und menschenzentriert geführten Unternehmen besteht der tief verwurzelte Wunsch, die Auswirkungen, die das Tun der Firma hat, zu verstehen und in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Dieses Tun betrifft nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch Geschäftspartner, Kunden, Aktionäre sowie die Gesellschaft und die Umwelt im Gesamten. Der „Corporate Empathy Test“, den ich gemeinsam mit Experten aus den Bereichen Psychometrie und Organisationspsychologie entwickelt habe, zeigt eindeutig: Ein empathisch geführtes Unternehmen kümmert sich um mehr als nur Mitarbeiter und Kunden. Denn grundsätzlich glaubt die Führungsspitze von empathisch geleiteten Unternehmen, dass langfristiger wirtschaftlicher Erfolg eng mit der Umwelt verbunden ist – sei es die unmittelbare Gemeinschaft, in der es tätig ist, oder das Land, das die Infrastruktur bereitstellt, ohne die das Unternehmen nicht funktionieren könnte, oder letztendlich der gesamte Planet. Diese Führungskräfte neigen dazu, zweckorientiert zu agieren und das Unternehmen durch Nachhaltigkeitsprogramme und langfristige Strategien weiterzuentwickeln.
Was hat ein Unternehmen davon, wenn es den Menschen in den Mittelpunkt stellt?
Gavet: In einem empathisch geführten Unternehmen wird Vielfalt im Denken begrüßt; Mitarbeiter werden ermutigt, bei der Arbeit sie selbst zu sein. Das bedeutet auch, dass niemand Angst haben muss, wenn seine Meinung nicht mit der von anderen übereinstimmt. Meetings sind Gelegenheiten, bei denen man sich Gehör verschaffen kann, bei denen Probleme zur Sprache kommen und diskutiert werden. Diese Offenheit bedingt, dass es weniger Hierarchien, weniger Grenzen zwischen Teams und weniger aufbrausende Egos gibt. Die Kommunikation ist also tendenziell transparenter. Und Human Resources und Manager investieren auf allen Ebenen in den Erfolg der Mitarbeiter. Da sich die Mitarbeiter mehr aufeinander einlassen und ermutigt werden, ihre unterschiedlichen Meinungen zu äußern, werden sie kreativer und gehen in Innovationsprozessen auch mehr Risiken ein. Komplexe Probleme werden gemeinsam gelöst. In der Folge sind die Mitarbeiter in der Regel zufriedener, engagierter und kommen gerne zur Arbeit. Ungewollte Fluktuation gibt es kaum.
Wie können Unternehmen menschenzentrierter werden? Und wie lange dauert es, bis sich ein Unternehmen spürbar verändert?
Gavet: Mit Entschlossenheit und einem klaren Fokus kann ein grundlegender Wandel innerhalb von zwölf bis 24 Monaten vollzogen werden. Aber dieser Wandel erfordert ziemlich tiefgreifende Arbeit am und im Unternehmen und in der Führungsetage. Es gibt dafür kein Patentrezept, aber es gibt einige Dinge, die getan werden können. Um einmal ein paar Beispiele zu nennen:
- die Rekrutierung und Förderung einfühlsamerer Führungskräfte
- eine Überprüfung der wichtigsten Prozesse vor Einführung des Human-first-Ansatzes
- ein starker Fokus auf Transparenz im Unternehmen
- auf zunehmende Diversität achten
- daran arbeiten, ein besserer Corporate Citizen zu werden. Das heißt also zum Beispiel keine Steueroasen mehr zu nutzen, allen Arbeitnehmern Basisleistungen anzubieten, die Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft zu messen und Pläne aufstellen, um alle negativen Auswirkungen zu kompensieren.