7 Thesen
Wie lange hält der Fahrradtrend an?
Die Fahrradbranche hat derzeit Luxusprobleme. Die Nachfrage boomt; Lieferengpässe machen Bikes zum gesuchten Gut. Was treibt die Branche? Sieben Thesen aus dem Gespräch mit Thorsten Heckrath-Rose. Der Geschäftsführer von Rose Bikes spricht über das Erwachsenwerden einer Branche, den Dekaden-Trend – und die Frage, was die Rad-Industrie von Autobauern lernen kann.


Thorsten Heckrath-Rose
ist Geschäftsführer bei Rose Bikes. Das Unternehmen ist ein Großversender: Es baut, verkauft und verschickt Fahrräder. Der Betriebswirt arbeitet dort seit 2001
These 1: Sobald es regnet, fährt keiner mehr Rad.
Thorsten Heckrath-Rose: Ganz klares Nein. Das war früher vielleicht so. Aber Fahrradbekleidung ist deutlich besser geworden, bietet Regen- und Windschutz. Wir bringen deshalb auch eine eigene Bekleidungslinie heraus. Dieses Thema wird unternehmerisch immer wichtiger. Es ist also eher eine Frage des Mindsets, nicht des Wetters. Nur wenn es schüttet, lasse ich mich auch mal verleiten, das Rad stehen zu lassen.
These 2: Bikes waren ein reines Corona-Thema.
Heckrath-Rose: Corona war sicher ein Zwischenturbo. Aber man muss klar sehen: Wir sind seit zwei, drei Jahren im Jahrzehnt des Fahrrads. Das wird beflügelt dadurch, dass viele das Bike als echtes Fortbewegungsmittel für sich entdeckt haben, auch zum Pendeln. Das Dienstrad-Leasing kennen inzwischen ebenfalls viele. Dazu kommen Faktoren wie Stauvermeidung, Gesundheit, Stressabbau, Umweltschutz und so weiter. Es gibt eine Studie der Universität Lund, die den volkswirtschaftlichen Nutzen des Rads genau beziffert: 30 Cent pro Kilometer. Im Gegensatz dazu kostet das Auto volkswirtschaftlich 20.
These 3: Gravel, Downhill, Endurance-Racer – immer mehr Facetten machen wirtschaftliches Agieren schwierig.
Heckrath-Rose: Die Bike-Branche besteht traditionell aus vielen Bike-Nerds. Das verleitet dazu, sich in Trends zu verlieren. Daher ist Fokussierung wichtig, das Sortiment im Auge zu behalten, die Losgrößen im Einkauf. Das ist ein Prozess, den wir dauernd durchlaufen. Es gibt immer wieder Phasen, in denen wir uns an den Rändern zurechtstutzen, und dann wächst es wieder. Beispiel die geländegängigen Gravelbikes. Gefühlt hat fast jeder eins. Und auch da merkt man die Facettierung. Man muss daher aufpassen, an den Enden nicht auszufransen.
These 4: Versender sind dazu verdammt, beim Service im Vergleich zum lokalen Handel hinterherzuhinken.
Heckrath-Rose: Verdammt dazu – das ist etwas hart ausgedrückt. Es wird unterschätzt, welchen Service auch Versender bieten können. Es gibt gute und vielversprechende Ansätze für ein attraktives Angebot aus der Distanz. Wir haben zum Beispiel Methoden entwickelt, nach denen man zur Reparatur zum Kunden fährt oder das Rad abholt. Etwas schwieriger ist die Kollaboration in der Branche. Da ist die Autoindustrie etwas schlauer. Von deren intelligenteren Netzwerken kann man lernen. Zusammen kann man einfach besser agieren, etwa was eine vernünftige Infrastruktur angeht. Beispiel: die Bike-Nachhaltigkeits-Charta. Da haben wir, ohne groß darüber nachzudenken, unterschrieben. Ein gemeinsames Ziel zu erklären – das ist sehr wichtig mit Blick auf Nachhaltigkeit, das kann keiner allein umsetzen. Es fehlt dann die Durchschlagskraft gegenüber den Lieferanten aus Asien. Das würde ich mir an anderen Stellen auch wünschen – etwa beim Re-Shoring, also dem Zurückholen der Produktion nach Europa, am besten mit neuen, nachhaltigen Materialien.
These 5: Die Politik macht nicht genug für die Rad-Industrie und verschläft damit die Mobilitätswende.
Heckrath-Rose: Das sehe ich so, ja. Geld wird interessanterweise inzwischen recht viel bereitgestellt. Aber es hapert daran, das Bewusstsein der Menschen zu beeinflussen – also die Frage zu beantworten, warum mehr Geld in Radverkehr investiert werden soll. Zu wenig und zu schlechte Kommunikation ist in meinen Augen ein Grundproblem der Politik. Dazu kommen die aufwendigen Planungsverfahren. Die Politik müsste also am Bürokratieabbau arbeiten. Das würde zeigen, dass sie es ernst meint.
These 6: Das E-Bike ist der Turbo der Branche.
Heckrath-Rose: Das kann ich so unterschreiben. Und das führte auch zu einem Revival des Fachhandels und war gut für die Branche. Es hat der ganzen Branche neue Dynamik gegeben, neue Zielgruppen erschlossen. Für mich ist es ein Jahrzehnt des Fahrrads.
These 7: Lieferschwierigkeiten nagen am Ruf der Hersteller.
Heckrath-Rose: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite freut man sich, weil es die hohe Nachfrage sichtbar macht. Aufs Sofa oder Auto muss ich ja auch nach der Bestellung warten. Aber kundenzentriert ist das nicht. Wir tun daher alles, das zu lösen, haben etwa die Lagerkapazitäten im Vergleich zum vergangenen Jahr nahezu verdoppelt. Einfach, um unseren Kunden etwas anbieten zu können. So langsam zeigt das Wirkung: Wir haben einen Lagerbestand von fast 3.000 sofort verfügbaren Rädern. Das wird sich in den nächsten Monaten fortsetzen. Möglich ist das, weil wir im vergangenen Jahr früh entschieden haben, Bestellungen nicht zu stornieren. Wir sind also in die Vollen gegangen. Das war ein guter Moment, ins Risiko zu gehen, weil wir so mittelfristig die Kunden besser versorgen können.

Redakteur
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