Vom Industrieunternehmen zum Börsenstar der „Zeitenwende“
Rheinmetall ist das sichtbarste Beispiel für die Verschiebung, die sich seit 2022 vollzogen hat. Ein Konzern, der lange überwiegend als Automobilzulieferer galt, steht heute im Zentrum der sicherheitspolitischen Debatte. Der Aktienkurs hat sich über Jahre vervielfacht, erreichte zeitweise fast zweitausend Euro und unterliegt seitdem deutlichen Schwankungen. Diese Bewegung ist nicht nur eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte, sondern Ausdruck eines neuen geopolitischen Realismus.
Dass Deutschland seinen Verteidigungsetat massiv ausgeweitet hat und Europa die höchsten Militärausgaben seit Ende des Kalten Krieges verzeichnet, ist an der Börse längst angekommen. Die Märkte haben diese Nachrichten verarbeitet, ihre Erwartungen angepasst und das Szenario der „militärischen Zeitenwende“ vollständig eingepreist. Genau darin liegt ein Teil der Fragilität.
Die Rally basiert auf Erwartungen. Nicht auf realisierten Gewinnen
Die aktuelle Bewertung vieler Rüstungsunternehmen reflektiert weniger das, was heute verdient wird, sondern das, was politisch beschlossen und strategisch angekündigt wurde. Die großen Programme, die über Jahre Milliardenumsätze generieren sollen, liegen häufig noch in der Zukunft. In den Kursen sind sie jedoch schon präsent.
Wer heute in Rüstungsaktien investiert, setzt implizit darauf, dass geopolitische Spannungen anhalten, Budgets weiter steigen und politische Prioritäten unverändert bleiben. Das ist eine Erwartungshaltung, die man bewusst prüfen sollte.
Aus meiner Sicht ist es wichtig, offen auszusprechen: Diese Titel profitieren nur, wenn es global nicht ruhiger wird. In vielen Depots hat sich das normalisiert. Doch es bleibt eine spekulative Annahme über eine Zukunft, die sich niemand wünschen kann.
Das größte Risiko besteht nicht in weiterer Eskalation, sondern in Entspannung
Finanzmärkte reagieren nicht auf das, was heute geschieht, sondern auf das, was sie morgen erwarten. Und genau deshalb ist das Szenario einer überraschenden Deeskalation für Rüstungsaktien ein erhebliches Risiko.
Ein belastbarer Waffenstillstand, diplomatische Fortschritte oder eine politische Verschiebung hin zu mehr Zurückhaltung würden die Erwartungen sofort verändern. Schon jetzt zeigen die Kurse Phasen deutlicher Unsicherheit, trotz weiterhin angespannter Lage.
Auch der politische Kontext darf nicht unterschätzt werden. Der Verteidigungsetat in Deutschland erreicht Rekordwerte, ist aber zugleich Gegenstand intensiver Debatten. Bei wirtschaftlicher Schwäche oder veränderten gesellschaftlichen Prioritäten können selbst große Budgets an Grenzen stoßen. Rüstungsunternehmen benötigen langfristige Planbarkeit – doch Politik ist selten langfristig planbar.
Die Charttechnik spiegelt das wider.

Der aktuelle Chart der Aktie spiegelt diese Entwicklung wider. Mit einem Wertverlust von über 27 Prozent vom Höchststand vom 03.10.2025 hat der Wert stärker korrigiert als für die übliche maximale Korrektur von 20 Prozent in einem intakten Aufwärtstrend. Als solches gilt der Aufwärtstrend per Definition als gebrochen. Wer spekulativ eingestellt ist, könnte anhand des erreichten Kursniveaus auf der eingezeichneten roten Linie einen spekulativen Einstieg sehen. Doch auch unter dieser Perspektive gilt es, wachsam den Kursverlauf zu beobachten. Würde die rote Linie im wahrsten Sinn des Wortes überschritten, drohen aus charttechnischer Sicht weitere Kursverluste. In der Charttechnik gibt es noch ein Signal aus der Kriegsrhetorik – das Todeskreuz, das offizielle Ende von jeder Aufwärtsbewegung. Das liegt vor, wenn die 50-Tage-Linie des gleitenden Durchschnitts die 200-Tage-Linie von oben nach unten schneidet. Das ist derzeit noch nicht der Fall. Jedoch laufen die Linien gerade aufeinander zu. Um auch hier in der Kriegssprache zu bleiben, sollten Anleger auch hier „auf der Hut sein.“
Die moralische Dimension ist kein Nebengeräusch
Ich erlebe in vielen Gesprächen mit Unternehmern, dass sie innerlich ringen. Einerseits möchten sie ihr Vermögen schützen und von strukturellen Entwicklungen profitieren. Andererseits wissen sie, dass die Ertragslogik dieser Investments eng mit Unsicherheit und Konflikten verknüpft bleibt.
Es geht nicht darum, moralisch den Zeigefinger zu heben. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen. Man sollte sich ehrlich fragen, welche Welt man einkalkulieren muss, damit diese Investments aufgehen. Dieser Gedanke gehört aus meiner Sicht zu einer verantwortungsvollen Finanzplanung.
Was ich bevorzuge: Stabilität ohne geopolitische Wetten
In meiner Arbeit mit Unternehmern setze ich auf Strategien, die nicht davon abhängen, dass Krisen eskalieren. Prognosefreie Portfolios, eine klare Risikostruktur und eine Konzentration auf reale wirtschaftliche Wertschöpfung bieten aus meiner Sicht die solidere Grundlage.
Sachwerte, Infrastruktur, Energie- und Versorgungssektoren sowie breit diversifizierte Ansätze ermöglichen Stabilität, ohne dass die Rendite an geopolitische Spannungen gekoppelt sein muss. Das schafft Unabhängigkeit – und entspricht einer Haltung, bei der wirtschaftliche Vernunft und persönliche Verantwortung zusammenspielen.
Schlussgedanke: Worauf setzen wir wirklich?
Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage nicht, ob Rüstungsaktien kurzfristig weiteres Kurspotenzial haben. Sie lautet: Welche Welt müssten wir antizipieren, damit diese langfristige Wette aufgeht – und ist das wirklich die Welt, die wir als Anleger einpreisen wollen?
Gute Finanzplanung bedeutet für mich, vorbereitet zu sein, ohne auf das Schlechteste zu setzen. Genau das sollte der Kompass sein – für Anleger, Unternehmer und für die Verantwortung uns selbst gegenüber.
