bAV & bKV

Betriebliche Vorsorge: Ein Pluspunkt im War for Talents?

Dienstwagen, Eckbüro mit Gummibaum und Jahresbonus ergeben einen guten Arbeitsplatz, um den sich die Talente reißen? Von wegen! Da braucht es heute mehr. Zum Beispiel einen Arbeitgeber, der für seine Mitarbeitenden etwas für das Alter zurücklegt oder der bei der Gesundheitsversorgung finanziell hilft. Betriebliche Altersvorsorge und Krankenversicherung helfen beim Employer-Branding – und dabei, den Fachkräftemangel zumindest zu mildern.

20.10.2021

Der Kampf um die Talente, der viel zitierte War for Talents – die Formulierung zeichnet ein martialisches Bild mit Blick auf die Nachwuchsgewinnung in Unternehmen. Im Kern geht es dabei um etwas vermeintlich Langweiliges. Doch von Anfang an. 

Die demografische Entwicklung ist eines jener Themen, die sich gletscherlangsam voranbewegen, kaum merklich – bis der Effekt auf einmal allen vor Augen geführt wird. Zwei Faktoren tragen in Deutschland dazu bei: Auf der einen Seite ist es die alternde Gesellschaft. Menschen leben in den entwickelten Ländern immer länger. Auf der anderen Seite sinkt seit den 1960er-Jahren die Geburtenrate hierzulande. Die durchschnittliche Lebenserwartung nach Ren­teneintritt lag in den 1960ern bei gut fünf Jahren, heute sind es mehr als 15 Jahre Ruhestand. Das be­deutet, dass immer weniger junge auf immer mehr alte Menschen treffen – eine Herausforderung für das Rentensystem. Entsprechend steigt die Sorge. Ein ­Beispiel: 68 Prozent der jungen Menschen gibt laut Jugendstudie der MetallRente an, Angst vor Alters­armut zu haben, weil ihre Rente nicht reichen könnte.

Ruf nach Automatismen

Und da kommt die betriebliche Vorsorge ins Spiel: Sie kann, gerade in ihrer Gestalt als betriebliche Altersvorsorge, die skizzierte Vorsorgekluft zumindest ein wenig schließen. Und trifft damit auch die Wünsche der Jugend. „Junge Leute wünschen sich eine automatische Sparregel in der betrieblichen Alters­vorsorge und finanzielle Kompetenzen“, schreibt in der Studie Christian Traxler, Professor für Ökonomie an der Hertie School. Eine gute Nachricht für die hiesigen Unternehmen. Denn sie haben damit ein ­wertiges Lockmittel für die so dringend benötigten Arbeitskräfte an der Hand, können an ihrem Employer-Branding arbeiten. 

Das ist auch nötig. Bereits jetzt haben 70 Prozent des Mittelstands Probleme, Stellen zu besetzen, schreibt etwa das Beratungshaus EY. Vor einem Jahr waren es 65 Prozent. Und passend dazu brauchen Unternehmen immer länger, um einen passenden Bewerber zu finden und an sich zu binden. Das kostet nicht nur Zeit, sondern auch Geld, zeigt eine von Xing E-Recruiting initiierte Forsa-Studie: Für die Gewinnung einer Führungskraft geben Unternehmen zwischen 5.000 und 50.000 Euro aus. Entsprechend aktiv buhlen die Unternehmen um die Bewerber.

Punkten können sie dabei nicht mehr mit den ­Rezepten der 1980er-Jahre – den Firmenwagen, dem Eckbüro, dem Gummibaum. Eine Studie des Jobportals Stepstone zeigt, was Mitarbeiter sich heutzutage wünschen. 49 Prozent geben betriebliche Altersvorsorge an (bAV), gefolgt von kostenfreien Getränken (31 Prozent) und Gesundheitsvorsorge (bKV) mit 26 Prozent. Auf dem Firmenwagen fahren nur noch 19 Prozent ab. Freie Bahn also für bAV und bKV. Das spüren auch die Experten in Sachen Vorsorge.

Ein Trend-Thema

„Es ist gefühlt ganz viel Dampf auf dem Kessel“, sagt Björn Rehm von Canada Life. „Das Thema ist keine bloße Modeerscheinung. Die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass der Bedarf erhalten bleibt. Außerdem sind die Erwerbsbiografien heute anders, die Menschen wechseln den Job schneller. Insofern müssen Unternehmen bei ihnen punkten – auch, um sie an die Firma zu binden.“ Das gelingt, wie die Studie zeigt, mit bAV und bKV gleichermaßen. 

Bei der bAV hilft der Arbeitgeber den Mitarbeitern, eine Zusatzrente aufzubauen. Dazu eröffnet er einen von fünf möglichen Durchführungswegen, etwa eine Direktversicherung. Der Arbeitnehmer ­wandelt einen Teil seines Gehalts in eine Einzahlung um, das Unternehmen legt 15 Prozent obendrauf. Bei Ren­teneintritt fließt die Zusatzrente. „Große Firmen bieten fast alle eine bAV“, sagt Frederick Krummet von der Axa. „Aber bei kleinen und mittleren Unternehmen gibt es noch einiges zu tun.“ 

Die bKV wiederum ist eine Art Gruppenver­sicherung und bietet ein Plus im Vergleich zur gesetzlichen Krankenversicherung. Wie groß das Plus ausfällt, liegt beim Arbeitgeber, der einen Tarif auswählt. Er kann bestimmte ambulante Behandlungen absichern, aber auch Präventionsleistungen bieten. Und bis hin zu einer Höhe von 44 Euro pro Monat gilt der Beitrag als steuerfreier Sachlohn. „Ein Wahnsinnswachstumsmarkt“, sagt Krummet. „Vor gar nicht langer Zeit hatte nur eine halbe Million Arbeitnehmer so eine Form der Absicherung, jetzt ist es schon eine Million. Die Gesundheit, das hat die Pandemie unterstrichen, wird ein immer wichtigeres Thema. Der Arbeitgeber muss sich im War for Talents damit positionieren.“

Fürs hier und jetzt 

In die gleiche Kerbe schlägt Steffen Kühn von der ­Signal Iduna. „Ich denke, die bKV wird künftig eine größere Rolle spielen – schon allein wegen der Möglichkeit, Familienmitglieder mit abzusichern und damit Lücken in der gesetzlichen Krankenversicherung zu schließen.“ Der Verzicht auf die Gesundheitsprüfung ist ebenfalls ein Plus. Jochen Prost von der Alte Leipziger sagt: „Ich muss als Unternehmer meine Firma interessant machen ­gerade für junge Menschen. Die bKV ist sofort erlebbar, sie vermittelt das unmittelbare Gefühl: Mein Arbeitgeber macht etwas für mich.“ Eine Mehrheitsmeinung unter den Experten. „Die bKV spielt im Hier und Jetzt“, fasst es Sascha Marquardt von der Halleschen zusammen. „Sie ist eine Extraleistung des Arbeitgebers, die aber nur Sinn ergibt, wenn der Mitarbeiter sie nutzt. Worin dieser Nutzen liegt, müssen wir ganz klar kommunizieren, sonst winkt der Kunde ab.“ 

Kommunikation als Schlüsselelement? Das gilt auch für die betriebliche Altersvorsorge, die schon wegen der unterschiedlichen Durchführungswege komplexer ist. „Eine Wissenschaft für sich“, nennt es Prost. „Wie verpacke ich es, wie trage ich es ins Unternehmen? Bestimmte Schlagworte erzeugen eher eine Abwehrhaltung. Das gilt auch in der Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Man muss den Arbeitgeber daher überzeugen, sich selbst hinzustellen und zu erklären: ‚Wir machen was.‘“ Das ist Wasser auf die Mühlen von Marquart: „Wir haben im Team eine Einheit, die nichts anderes macht, als Unternehmen in der Belegschaftskommunikation zu unterstützen.“

Die Digitalisierung kann die Kommunikation erleichtern. „Der Arbeitnehmer hat zum Beispiel den Anspruch, seinen Versicherungsstand jederzeit abrufen zu können – zum Beispiel, um die Frage beantwortet zu sehen, was seine bAV derzeit wert ist“, sagt Tobias Bailer von der pension solutions group. „Also braucht der Arbeitnehmer ein Portal mit einem ganz einfachen Zugang. Der Arbeitgeber hat wieder andere Ansprüche, will die Verträge effizient verwalten. Digitalisierung hilft dabei immer. Aber es braucht auch das Gespräch. Denn da entscheidet sich, ob der Mitarbeiter das Vorsorgeangebot überhaupt nutzen will.“ Tatsächlich gewinnt das Thema Digitalisierung dabei an Fahrt, beobachtet Kühn.

So gilt: Einfachheit schlägt Komplexität. Oder: „Konzept schlägt Tarif“, wie Rehm es formuliert. Viel Munition also im Kampf um die Talente.