Zwischen Klinikalltag, Lieferengpässen und der Versorgungsrealität seltener Indikationen geraten Patientinnen und Patienten immer wieder in eine therapeutische Grauzone. Zu grobe Dosissprünge, fehlende kindgerechte Darreichungsformen oder nicht verfügbare Stärken zwingen Behandelnde zu Kompromissen. In Estland verfolgt ein Team um Jana Lass, außerordentliche Professorin für Klinische Pharmazie am Universitätsklinikum Tartu, einen Gegenentwurf. Arzneimittel werden in der Krankenhausapotheke passgenau gedruckt, nicht als futuristisches Experiment, sondern als strukturierter Versorgungspfad.
Im Zentrum steht die Idee, genau die Dosis herzustellen, die ein Mensch braucht und in einer Form, die er gut einnehmen kann. So entstehen zum Beispiel Kautabletten für Kinder. Diese lassen sich leichter schlucken als bittere Säfte und die Menge kann so fein angepasst werden, dass auch das langsamere Absetzen von Kortison Schritt für Schritt gelingt.
Lieferengpässe umgehen, dank 3D-Drucker
Für Ältere werden Tabletten mit weniger Wirkstoff gedruckt, damit die Dosis nicht zu stark ist. Auch für Kinder unter sechs Jahren werden Medikamente in gewichtsabhängigen Mengen hergestellt. Bei sehr seltenen Erkrankungen hilft der 3D-Druck ebenfalls. In Estland werden Patientinnen und Patienten mit einer angeborenen Stoffwechselkrankheit passgenau versorgt, obwohl es im Handel nur Standardstärken des Medikamentes gibt. Dank des 3D-Druckers können individuelle Medikamente für sie hergestellt werden.
Ein weiteres Beispiel ist Aspirin. Für eine Desensibilisierung, also den behutsamen Neuaufbau der Verträglichkeit bei Menschen mit Unverträglichkeit, braucht man winzige Startdosen ab 1 mg. Diese gibt es nicht zu kaufen, also werden sie gedruckt. Auch Einzelfälle profitieren: Wenn ein wichtiges Medikament vorübergehend nicht lieferbar ist, kann das Universitätsklinikum Tartu Lieferengpässe überbrücken – dank des 3D-Druckers. In Zukunft sind zudem Zäpfchen mit sehr niedrigen Paracetamol-Dosen für Neugeborene und Frühgeborene geplant, denn die üblichen 80 mg sind für sie zu hoch.
Kliniknahe Produktion mit Qualitätsanspruch
Organisatorisch ist der Prozess sorgfältig eingebettet. Ärztliche Indikationsstellung und Dosisfindung bilden den Startpunkt, die Krankenhausapotheke übersetzt sie in standardisierte Druckaufträge mit dokumentierten Parametern. Digitale Herstellprotokolle sorgen dafür, dass Anpassungen, etwa mit wachsendem Körpergewicht, veränderten Laborwerten oder neuen klinischen Zielen, schnell in die nächste Charge einfließen. Das Ergebnis ist eine Versorgung, die zugleich personalisiert und belastbar ist. Sie reagiert auf Lebensalter, Komplikationen und Engpässe, ohne jedes Mal bei null anzufangen.
Der 3D-Druck ersetzt nicht die normale Arzneimittelproduktion. Er ergänzt sie dort, wo Standardtabletten nicht genügen: bei Kindern, Hochbetagten, seltenen Krankheiten, beim langsamen Absetzen oder wenn ein Mittel vorübergehend fehlt. Genau in diesen Situationen zeigt Tartu, wie gut maßgeschneiderte Lösungen wirken: die richtige Dosis, in der richtigen Form, zur richtigen Zeit.
