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KI im Gesundheitswesen: Assistenz statt Ersatz

Künstliche Intelligenz ist längst im Klinikalltag angekommen – sie unterstützt etwa bei Diagnosen und entlastet bei administrativen Aufgaben. Doch wie weit ist die Technologie wirklich? Beim BIG BANG KI FESTIVAL 2025 diskutierten TK-Chef Jens Baas, KI-Expertin Elisabeth L’Orange und Mediziner Tobias Heimann mit DUP UNTERNEHMER-Verleger Jens de Buhr über Chancen, Risiken und die Frage, wie sich die Rolle der Ärztinnen und Ärzte im Zeitalter smarter Algorithmen verändern wird.

Aufnahme der Bühne mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Panel-Talks zum Thema KI im Gesundheitswesen

26.09.2025

Die Medizin steht am Beginn einer tiefgreifenden Transformation. Ob in der Radiologie, der Pathologie oder bei der Patientenaufnahme: KI-Systeme sind in der Lage, in Sekundenbruchteilen Daten zu verarbeiten, Muster zu erkennen und Handlungsempfehlungen auszugeben. Doch bedeutet das, dass Ärztinnen und Ärzte überflüssig werden? Oder verändert sich ihr Berufsbild nur grundlegend?

Allein die Interaktion zwischen Arzt und Patient hat einen heilenden Wert, den kein Algorithmus ersetzen kann

Jens Baas, TK

Elisabeth L’Orange eröffnete die Diskussion mit einem persönlichen Erlebnis: „Ich hatte Knieprobleme und habe Fotos meines Gelenks bei ChatGPT hochgeladen. Das System konnte das Problem erstaunlich gut eingrenzen und mir sogar einen passenden Trainingsplan vorschlagen.“ Für sie ist klar: KI wird immer besser – in manchen hoch spezialisierten Bereichen übertreffe sie sogar erfahrene Medizinerinnen und Mediziner. Doch die Entwicklung berge auch Risiken: „Wenn Ärztinnen und Ärzte bestimmte Routinediagnosen dauerhaft einer KI überlassen, können sie einzelne Fähigkeiten mit der Zeit verlernen“, erklärte L’Orange. „Das ist ähnlich wie beim Taschenrechner – er hat nicht das gesamte mathematische Wissen verdrängt, aber das Kopfrechnen in den Hintergrund gedrängt.“

Assistenz statt Ersatz

Anders blickt Tobias Heimann auf die Entwicklung. „Ich glaube nicht, dass Ärzte in absehbarer Zeit ersetzt werden. Aber die Aufgaben verschieben sich“, betonte er. KI könne gerade in Bereichen mit hohem Spezialisierungsgrad – etwa bei der Analyse von Gewebeschnitten in der Onkologie – wertvolle Unterstützung leisten.

KI kann in Regionen ohne ärztliche Versorgung Leben retten – aber sie wirft auch große Fragen zum Datenschutz auf

Elisabeth L‘Orange, Deloitte

Heimann warnt jedoch vor einem unkritischen Umgang: „Medizinische Innovation braucht Evidenz. Wir müssen KI-Systeme genauso gründlich validieren wie neue Therapien oder Medikamente. Anekdoten allein reichen nicht.“ Nur so könne die Patientensicherheit gewahrt bleiben. TK-Chef Jens Baas sieht in der KI vor allem eine Ergänzung – nicht den Ersatz ärztlicher Arbeit. „Allein die Interaktion zwischen Arzt und Patient hat einen heilenden Wert, den kein Algorithmus leisten kann“, erklärte er. Für Baas liegt der Nutzen der Technologie vor allem in der besseren Vernetzung von Daten und der Entlastung des medizinischen Personals. Er verweist auf seine Zeit an der Mayo Clinic in den USA: Dort sei es Standard gewesen, alle Daten vor einem Pa­tientengespräch zusammenzuführen. „Was damals nur Superreiche bekamen, kann heute dank digitaler Technologien für alle Realität werden“, so Baas. KI ermögliche es, das Wissen der besten Spezialisten weltweit auf individuelle Fälle anzuwenden.

Globale Perspektiven und ethische Fragen

Eine bessere Gesundheitsversorgung für alle heißt auch Zugang zu medizinischer Versorgung in Regionen, wo Fachpersonal fehlt. „In vielen Ländern des globalen Südens gibt es gar keine Ärztinnen und Ärzte. Dort kann schon ein KI-gestützter Chatbot auf dem Smartphone die Lebensqualität massiv verbessern“, betonte L’Orange. Gleichzeitig müsse der Datenschutz neu gedacht werden: KI-Systeme unterliegen nicht der ärztlichen Schweigepflicht – ein Punkt, der dringend regulatorisch geklärt werden müsse.

Medizin braucht Evidenz. Auch KI muss genauso streng validiert werden wie jede neue Therapie

Tobias Heimann, Siemens Healthineers

Wie sieht die Gesundheitsversorgung in fünf Jahren aus? Baas prognostiziert beispielsweise ein standardisiertes KI-gestütztes Bewertungssystem: „Bevor Patienten direkt zum Arzt gehen, wird eine KI ihre Symptome einschätzen und Handlungsempfehlungen geben – vom Abwarten bis zum Notarzteinsatz.“ Damit könne das System entlastet werden, denn schon heute sei die Zahl der Ärztinnen und Ärzte begrenzt. Heimann blickt nüchterner in die Zukunft: Die Medizin sei traditionell ein konservatives Feld. „Selbst wenn Technologien als überlegen gelten, dauert es Jahrzehnte, bis sie sich durchsetzen. Ich wäre überrascht, wenn wir in fünf Jahren eine umfassende Nutzung sehen.“

L’Orange wiederum sieht KI als unverzichtbares Werkzeug, um den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu begegnen: „Wenn Ärztinnen und Ärzte weiterhin endlose Arztbriefe schreiben müssen, ist das eine Verschwendung von Talent und Ressourcen. KI kann hier enorme Effizienzgewinne schaffen – und so die Gesundheitsversorgung überhaupt erst sichern.“

Zwischen Euphorie und Skepsis

In einem Punkt waren sich alle einig: KI ist kein Allheilmittel, sondern ein Werkzeug. „Wir dürfen nicht nur die Chancen oder nur die Risiken sehen. Es geht um eine Abwägung“, resümierte Baas. Die Zukunft der Medizin werde darin liegen, digitale Technologien gezielt einzubinden und ärztliches Handeln dadurch sinnvoll zu erweitern – mit dem Ziel, Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen.

Dr. Jens Baas

ist Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse

Elisabeth L’Orange

ist Partnerin bei Deloitte und Host des „Tech & Tales“-Podcasts

Dr. Tobias Heimann

ist Head of AI Germany bei Siemens Healthineers