Modern Work

Krankheitstage auf Rekordniveau: Was Unternehmen jetzt wirklich verstehen müssen 

Der Krankenstand in Deutschland steigt deutlich und belastet Unternehmen zunehmend. Hauptursachen sind Atemwegsinfekte, psychische Erkrankungen und muskuläre Beschwerden. Unternehmen müssen jetzt gezielt in Gesundheit, Prävention und flexible Arbeitsgestaltung investieren.

28.11.2025

Der Krankenstand in Deutschland und vielen Teilen Europas steigt – und zwar so stark, dass Unternehmen die Entwicklung nicht mehr als vorübergehenden Effekt der Pandemie abtun können. Die Zahlen sind eindeutig, der Trend klar: Beschäftigte fehlen häufiger, öfter und länger. Für Arbeitgeber bedeutet das: Produktivität, Planungssicherheit und Teamstabilität stehen zunehmend unter Druck. 

Deutschland: Ein deutlicher Anstieg – und seine Ursachen 

Deutsche Beschäftigte fehlten 2024 im Schnitt 17,7 Tage (TK, Jan–Nov). Vor der Pandemie waren es 14,1. Einzelne Quartale erreichten mit Krankenstandsquoten von 5,8 % historische Rekordwerte – das entspricht 58 von 1.000 Beschäftigten, die an einem durchschnittlichen Tag krankgeschrieben sind (DAK). 

Zusätzlich zeigt Destatis: Die ausgefallenen Arbeitsstunden pro Kopf sind seit 2021 massiv gestiegen – von 68 auf 91 Stunden. Ein Plus, das die wirtschaftliche Belastung noch klarer macht. 

Die Hauptgründe dieses Anstiegs: 

  • Atemwegsinfekte (kurz, aber häufig) 
  • Psychische Erkrankungen 
  • Muskel-Skelett-Beschwerden 

Damit verändern sich auch die Muster: Nicht mehr nur die klassische Grippewelle sorgt für Ausfälle – Ermüdung, Stress, körperliche Überlastung und psychische Belastungen werden zunehmend zum Treiber

Europa zeigt das gleiche Bild – nur früher und deutlicher 

Die EZB weist für Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien zwischen 2021 und 2022 einen Anstieg der Fehlzeiten von 10–30 % aus. 

  • Italien: +34 % 
  • Spanien: +30 % 
  • Frankreich: +11 % mehr Beschäftigte mit mindestens einem Krankheitstag 

Vor allem kurzfristige, aber häufige Krankschreibungen haben stark zugenommen. Das heißt: Personal ist plötzlich und unplanbar nicht verfügbar – die schwierigste Form des Ausfalls für Unternehmen. 

Der entscheidende Blick: Welche Branchen besonders betroffen sind 

Für Arbeitgeber lohnt der differenzierte Blick in die Belegschaft, denn die Krankheitslast verteilt sich nicht gleich

Hochrisiko-Branchen 

Hier liegen die Krankenstandsquoten bei 7–7,5 % – deutlich über dem Durchschnitt: 

  • Gesundheits- und Sozialwesen 
  • Öffentliche Verwaltung / Sozialversicherung 
  • Energie, Wasser, Entsorgung, Bergbau 

Auch überdurchschnittlich betroffen: 

  • Verarbeitendes Gewerbe 
  • Metallindustrie
  • Verkehr und Transport 

Der Grund: körperliche Belastung, Schicht- und Nachtarbeit, hohe Kundenkontaktintensität, Unfallrisiken und psychosozialer Stress. 

Lange Falldauern (über 20 Tage pro Fall) dominieren besonders in: 

  • Land- und Forstwirtschaft 
  • Baugewerbe
  • Verkehr / Transport 

Hier wirken Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Unfälle als treibende Faktoren. 

Branchen mit niedriger Krankenlast 

Deutlich unterdurchschnittlich – bei 4–4,5 % Krankenstand – liegen: 

  • Banken
  • Versicherungen
  • Datenverarbeitung / IT 
  • Wissensintensive Dienstleistungen 

Hier sind Arbeit besser planbar, körperliche Belastungen geringer, die Ausfallmuster etwas stabiler – dafür spielen andere Risiken (Präsentismus, mentale Belastung, ständige Erreichbarkeit) eine wachsende Rolle. 

Was Unternehmen jetzt konkret tun müssen 

Der steigende Krankenstand ist kein HR-Randthema mehr. Er entscheidet darüber, ob Teams funktionieren, ob Kunden zuverlässig bedient werden und ob Unternehmen resilient durch volatile Zeiten kommen. 

1. Belastungsanalysen statt Bauchgefühl 

Branchen unterscheiden sich massiv – und damit auch die Ursachen. Unternehmen sollten jährlich prüfen: 

  • Wo steigen Fehlzeiten? 
  • Welche Tätigkeiten, Teams oder Funktionen sind betroffen? 
  • Welche Krankheitsarten dominieren? 

Die großen Kassen (AOK, DAK, TK) bieten dafür detaillierte Branchenreports

2. Ergonomie, Sicherheit und Prävention in körperlich belastenden Berufen 

Besonders wichtig in: Bau, Logistik, Produktion, Pflege, Verkehr. 

  • technische Entlastung (Hilfsmittel, Automatisierung) 
  • ergonomische Arbeitsplätze 
  • Unfallprävention 
  • ausreichend Pausen 
  • realistische Schichtpläne 
  • Mindestbesetzungen

3. Psychische Gesundheit als Führungsaufgabe 

Auffällig hohe Quoten in: 

  • Erziehung & Unterricht 
  • Öffentliche Verwaltung 
  • Pflege
  • Wissensarbeit (Präsentismus & Overload) 

Wirksam sind: 

  • entlastende Teamstrukturen 
  • klare Verantwortlichkeiten 
  • Führungskräftetraining zu psychischer Gesundheit 
  • Resilienzprogramme
  • Grenzen der Erreichbarkeit definieren 

4. Schichtarbeit neu denken 

In vielen Branchen ist die Taktung das Hauptproblem. 
Lösungen: 

  • mehr Wahlfreiheit in der Schichtplanung 
  • verlässliche Dienstpläne 
  • digitale Schichttools 
  • zusätzliche Pufferbesetzung 
  • rotierende statt starre Belastungsverteilung 

5. Präsenzkultur hinterfragen 

In Büro- und IT-Berufen ist der Krankenstand zwar niedrig – aber Präsentismus hoch
Das führt langfristig zu: 

  • höheren Risiken für psychische Erkrankungen 
  • sinkender Produktivität 
  • verdeckter Überlastung 

Effektive Maßnahmen: 

  • klare Regeln zur Nichterreichbarkeit 
  • Kultur der offenen Kommunikation 
  • gesundheitsorientiertes Performance-Management 

Fazit: Gesundheit wird zum Standortfaktor – für jedes Unternehmen 

Der Anstieg der Fehltage ist kein Ausreißer, sondern eine strukturelle Veränderung. Für Arbeitgeber bedeutet das: 

  • klassische Gesundheitsmaßnahmen reichen nicht mehr 
  • psychische Belastung und kurze, häufige Ausfälle werden zum Kernproblem 
  • Branchen müssen individuell reagieren 
  • Führung, Organisation und Arbeitsgestaltung sind entscheidend 

Kurz gesagt: 
Gesundheit ist nicht mehr Kostenfaktor – sondern Wettbewerbsfaktor. 
Unternehmen, die das früh erkennen, gewinnen. Alle anderen verlieren Fachkräfte, Produktivität und Resilienz.