DUP UNTERNEHMER-Magazin: Die Bundesregierung hat erste Weichen gestellt, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Wie lautet Ihr Fazit?
Franziska Brantner: Die Enttäuschung ist groß. Wichtige Reformen – Rente, Gesundheit, Digitalisierung, Staatsmodernisierung – wurden auf Arbeitsgruppen und Kommissionen vertagt. Dabei bräuchten wir dringend schnelle Entscheidungen. Es liegen fundierte Vorschläge vor, etwa von der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ von Bundespräsident Steinmeier oder vom Normenkontrollrat. Es mangelt nicht an Ideen, sondern an der Fähigkeit dieser Bundesregierung, sie politisch umzusetzen.
Was vermissen Sie bei der Bundesregierung konkret?
Brantner: Mut zur Zukunft. Nehmen Sie den Energiesektor: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche will rund 20 Milliarden an Steuergeld in klimaschädliche Gaskraftwerke investieren und macht dann noch nicht einmal zu Bedingung, dass man sie künftig auch mit Wasserstoff betreiben kann. Das ist Planwirtschaft – rückwärtsgewandt und innovationsfeindlich. Start-ups und Mittelständlern, die etwa Speichertechnologien oder Digitalisierungssysteme im Energiebereich entwickeln, zeigt das Wirtschaftsministerium gerade ein hartes Stoppschild. Mir berichten viele, dass ihnen jetzt die Investoren abspringen. Nach dem Altmaier-Knick bei den Erneuerbaren droht die Reiche-Delle bei den klimafreundlichen Technologien. Ich will lieber auch künftig moderne Technologien in die Welt exportieren, statt sie aus China zu importieren.
Der Investitionsbooster von Finanzminister Klingbeil und der Bundesregierung beschert Unternehmen 30 Prozent Sofortabschreibung über drei Jahre für Investitionen in Maschinen und Geräte. Wird dies das Wachstum ankurbeln?
Brantner: Robert Habeck hatte im Dezember 2024 vorgeschlagen, Unternehmen sofort zu entlasten. Damals hat die CDU das blockiert – offensichtlich aus wahlkampftaktischen Gründen. Denn jetzt kommt die Regierung mit einem sehr ähnlichen Konzept. Wir hätten also die Unternehmen schon ein halbes Jahr früher entlasten können. Und Klingbeils Booster greift zu kurz: Nur jedes zweite Unternehmen profitiert davon, diejenigen nämlich, die Gewinne machen. Unser Modell der Investitionsprämie ist unbürokratischer und hätte damit die Nerven geschont und wesentlich mehr Unternehmen erreicht - durch eine Steuergutschrift. Unternehmen wissen schließlich am besten, welche Investitionen sie brauchen.
Mit unserem Vorschlag hätten wir die Unternehmen schon
ein halbes Jahr früher entlasten können.
Auch die EU treibt die Entbürokratisierung voran, unter anderem, indem sie das Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsberichterstattung verschieben möchte. Eine gute Idee?
Brantner: Im asiatischen Raum belächelt man uns dafür, dass wir uns in den täglichen Irritationen verlieren. Dort gibt es eine klare Zukunftsvision und an der arbeitet man kontinuierlich. Wenn wir alle zwei Jahre unsere Zielvision ändern, leidet die Investitionssicherheit immens. Und Klimaschutz bedeutet nicht, dass man nicht entbürokratisieren kann. Ein Beispiel: Der CO₂-Grenzausgleich-Mechanismus (die Bepreisung von CO₂-Emissionen bestimmter energieintensiver Produkte, die in die EU importiert werden; Anm. d. Red.) wurde reformiert, weil die Schwellenwerte zu komplex und schwierig waren. Das Europaparlament – unter konstruktiver Mitwirkung unserer Fraktion – und die Mitgliedsstaaten haben mit der Neuregelung die Klimaeinsparungen erhalten und die Bürokratie um 90 Prozent gesenkt. So sollten auch andere Themen systematisch durchgegangen werden, um unsere Klimaziele auf dem für alle einfachsten und besten Weg zu erreichen.
Auch die Digitalisierung soll bei der Entbürokratisierung helfen. Welche Impulse müssen jetzt aus dem Digitalministerium von Karsten Wildberger kommen?
Brantner: Zunächst finde ich es bedauerlich, dass zentrale Bereiche der Digitalisierung – Datenökonomie und KI-Regulierung – aus dem Wirtschaftsministerium herausgelöst wurden, weil damit dort die Zukunft der Wirtschaft nicht mehr mitgedacht wird. Wir brauchen weiter Tempo beim Breitbandausbau, einen Fokus auf KI und Quanten und wichtig: eine Vereinfachung und Digitalisierung aller staatlichen Ebenen und ihre Vernetzung. Zum Beispiel Verwaltungssoftware gebündelt für alle zu entwickeln, statt in jeder Kommune einzeln. Dadurch werden Kräfte frei und für Bürgerinnen sowie Unternehmen wird vieles leichter, digitaler, schneller. Außerdem brauchen wir europäische Alternativen zu amerikanischen Plattformen. Und der Staat sollte als Ankerkunde unsere Unternehmen unterstützen. Wenn hingegen Innenminister Dobrindt die Analyse-Software des US-Unternehmens Palantir in jeder Polizeibehörde installieren will, ist das ein sicherheitspolitischer Albtraum. Wir haben beim Sondervermögen explizit ermöglicht, Cybersicherheit über Schulden mitzufinanzieren, weil wir europäische Lösungen benötigen. Jetzt böte sich die große Chance, in eigene Technologien und Kompetenzen zu investieren.
Die Einigung im Zollstreit mit den USA belastet insbesondere die deutsche Wirtschaft. Was können die Bundesregierung beziehungsweise die Europäische Union jetzt noch tun?
Brantner: Statt auf Standhaftigkeit hat Kanzler Merz auf eine schnelle Einigung gesetzt. Aber wer angesichts von Trumps Erpressungsmethoden nicht auch glaubwürdig bereit ist, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, hat schon verloren. Denn mit Appeasement wird Trump nur immer weitermachen. Grundsätzliches Ziel bleibt natürlich, Zölle vollständig abzuschaffen. Gleichzeitig sollten wir nicht – wie Trump – nur den Warenverkehr in den Blick nehmen, sondern auch den Dienstleistungssektor. Dort verzeichnen die USA einen Handelsbilanzüberschuss. Auch halte ich es für richtig, was Kulturstaatsminister Wolfram Weimer plant: Eine Digitalabgabe für die großen US-Tech-Konzerne. Alphabet, Meta und Co. zahlen in der EU kaum Steuern – anders als beispielsweise jede deutsche Zeitung, die Werbeschaltungen von Unternehmen erhält. Eine solche Abgabe würde einen etwas faireren Wettbewerb ermöglichen.
Die Bundesregierung möchte die Arbeitszeit flexibilisieren: Pro Tag soll eine Höchstarbeitszeit von bis zu zwölf Stunden möglich sein, bei wöchentlich maximal 40 Stunden. Kann es gelingen, so die Produktivität zu steigern?
Brantner: Nach den Erfahrungen, die mir aus der Praxis berichtet werden, ist die tägliche Arbeitszeit gar nicht das Problem. Viele Menschen sagen mir, dass sie sich gern nachmittags um die Kinder kümmern und abends noch einmal vor den Computer setzen würden. Die tägliche Arbeitszeit würde nicht überschritten, aber rechtlich ist das nicht möglich, weil die gesetzliche Ruhephase so nicht eingehalten werden kann. Auch viele Unternehmen sagen uns, sie wünschen sich diesbezüglich mehr Flexibilität. Für uns steht bei der Flexibilisierung im Vordergrund, unterschiedliche Lebensmodelle zu ermöglichen. Das ist auch das, was viele Arbeitnehmende einfordern.
Themenwechsel: Die Grünen suchen noch nach ihrer Rolle in der Opposition. Wie wollen Sie gemeinsam mit Ihrem Co-Vorsitzenden Felix Banaszak das Profil Ihrer Partei schärfen?
Brantner: Mit klaren Schwerpunkten. Erstens benennen wir klar, was ist: Die Klimakrise bedroht unsere Lebensgrundlagen und unseren Wohlstand. Jetzt zu handeln ist sechsmal günstiger als die Folgekosten von Untätigkeit. Wir legen den Fokus auf Wohlstandssicherung durch Innovationskraft. Das zweite ist die Frage der Gerechtigkeit und Solidarität in der Gesellschaft. Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag. Beste Kitas und Schulen. Und wir benötigen Strukturreformen, damit die junge Generation auch noch von den Sozialsystemen profitieren kann. Und drittens ist uns eine klare europäische Perspektive wichtig. Ob es um die Stärkung des europäischen Binnenmarkts geht, damit wir unsere Wirtschaft unterstützen, oder darum, die beste europäische Armee aufzubauen, statt die stärkste nationale Truppe.
Können Sie sich mit diesen Themen in der Opposition gegen eine lautstarke AfD behaupten?
Brantner: Wir werden nicht lauter und schriller sein. Wir wollen vernünftige Lösungen anbieten statt Probleme zu beschreien. Die digitalen Plattformen sind natürlich auf Polarisierung ausgerichtet – Desinformation verbreitet sich schneller als Information. Unter dem Druck der Extreme kann eine Gesellschaft zersplittern wie Glas. Diesem Druck etwas entgegenzusetzen, ohne Teil davon zu werden, ist nicht einfach. Klarheit, die nicht ins Schrille übergeht, wird weiterhin unsere tägliche Aufgabe sein.

