Der Wille ist da: 70 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger befürworten eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben, so eine Forsa-Umfrage für das RTL/ntv-Trendbarometer im Sommer. Die Politik reagiert. Nach den Plänen sollen der Bundeswehr in diesem Jahr rund 86 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Und der Verteidigungshaushalt soll weiter steigen – bis auf knapp 153 Milliarden Euro im Jahr 2029.
Doch muss das viele Geld vom Staat auch sinnvoll eingesetzt werden, soll es einer verstärkten Sicherheit tatsächlich dienen. Das bedeutet unter anderem neue Strukturen der Bundeswehrbeschaffung und anderer Behörden, agile Unternehmen – nicht nur in den einschlägigen Sparten der Wirtschaft hierzulande. Karsten Schneider, Konteradmiral a. D. und Präsident des Deutschen Maritimen Instituts, sagt: „Die notwendigen Innovationen im Bereich Sicherheit dürfen nicht nur aus der Rüstungsindustrie kommen, sondern auch von neuen Anbietern. Stichwort Dual Use, zum Beispiel von Start-ups, die völlig neue Ansätze haben. Innovation ist das Gebot der Stunde.“ Experten aus Wirtschaft, Militär und Institutionen haben zahlreiche Ideen und Forderungen für schlagkräftigere Prozesse in Sachen Sicherheit und Souveränität.
Müssen Unternehmen, Gesellschaft und Bundeswehr umdenken?

Dr. Jens Bodo Koch, CEO von Heckler & Koch
„Wir rüsten die Frauen und Männer aus, die tagtäglich für unsere Freiheit und Sicherheit einstehen. Wer diesen Dienst leistet, verdient bestmögliche Ausrüstung – verlässlich, präzise und verantwortungsvoll entwickelt.“

Harald Mannheim, Managing Director Airbus Defence and Space
„Souveränität ist nicht Autarkie – aber wir müssen in Europa auch rüstungsfähig bleiben, sonst entscheiden andere über unsere Einsatzfähigkeit.“

Martin Merz, President SAP Sovereign Cloud, SAP
„Die geopolitischen Entwicklungen machen deutlich: Es ist höchste Zeit zu handeln. Als ehemaliger Bundeswehroffizier und heutiger Verantwortlicher für Sovereign Cloud bei einem weltweit führenden Technologieunternehmen weiß ich, wie entscheidend technologische Überlegenheit für Sicherheit und strategische Autonomie ist. Damit Sicherheit und Innovation Hand in Hand gehen, reicht es nicht, Daten ‚nur‘ zu schützen. Wir müssen sie kontrollieren und gleichzeitig intelligent nutzen.
Digitale Souveränität braucht neben Datensouveränität auch technologische, operationale und juristische Kontrolle entlang des gesamten Stacks – von der Infrastruktur bis zur Anwendung. Nur wer weiß, wer was wo verarbeitet, bleibt handlungsfähig – im Krisenfall wie im Alltag. Unsere jahrzehntelange Erfahrung, das Vertrauen von 23 NATO-Armeen und unsere souveränen End-to-End-Lösungen machen uns zum verlässlichen Partner der Verteidigungswirtschaft. Mit SAP Sovereign Cloud schaffen wir die Grundlage, Risiken zu minimieren und gleichzeitig Innovation und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.“

Kathrin Hess, Director Defense & Green Transformation bei der ManpowerGroup Deutschland
„Die Bundeswehr muss ihr Personal aufstocken. Doch geeignete Mitarbeitende sind rar und werden auch von Unternehmen aus dem freien Markt umworben, hier ist die Konkurrenz groß. Gerade aber in den Prozessen der Personalbeschaffung ist die Bundeswehr vergleichsweise langsam. Hinzu kommt außerdem eine vergleichsweise hohe Abbrecherquote: Neue Kräfte entscheiden sich oft bereits nach wenigen Wochen für eine andere Alternative. Hier könnten Personalberater ein wichtiger Partner bei der nachhaltigen Personalplanung und beim Recruiting sein. In Australien etwa arbeitete die ManpowerGroup jahrelang mit der Armee zusammen und war in die Personalbeschaffung eingebunden. Allerdings sind dafür klare und vor allem schnelle Prozesse erforderlich.“

Dr. Frank Sartorius, Strategic Leader Transformation bei der BWI , dem primären Digitalisierungspartner der Bundeswehr, einer hundertprozentigen Bundesgesellschaft
„Ein zentrales Thema für die BWI und viele andere Unternehmen im sicherheitsrelevanten Umfeld ist das starke Wachstum: Bei uns hat sich die Mitarbeiterzahl innerhalb von fünf Jahren auf über 7.000 verdoppelt und wir sind zum viertgrößten internen IT-Dienstleister Deutschlands gewachsen. Dieses Wachstum bringt immense Veränderungen und Herausforderungen mit sich, insbesondere für unsere Unternehmenskultur und -prozesse. Wir setzen deshalb gezielt darauf, die Identifikation mit unserem Zielbild und gemeinsame Werte zu fördern sowie unsere Strukturen kontinuierlich weiterzuentwickeln, damit wir auch in Zukunft leistungsfähig und resilient bleiben.“

Wolfram W. Hackbarth, Director bei der Mittelstandsberatung Enomyc, Experte für Produktions- und Wertschöpfungsoptimierung in der Automobil- und Zulieferindustrie
„Zulieferer haben längst begonnen, ihre Zielmärkte über den Automobilsektor hinaus zu erweitern – hier liegen lukrative Zukunftschancen. Bereits jetzt richten viele von ihnen Teile ihrer Produktion auf die wieder aufblühende Rüstungs- und Wehrtechnik aus. TIER2-Lieferanten, die bislang Hochpräzisionsdreh- und Fräskomponenten für die Automobilindustrie gefertigt haben, positionieren sich hier zunehmend als Zulieferer für den Verteidigungssektor.“

Wiebke Köhler, Geschäftsführerin der Strategieberatung Impactwunder und CDU-Verteidigungspolitikerin
„Nach meinem Eindruck haben sich Unternehmen bisher nur Ausnahmefällen mit einem Notfallplan auf einen Kriegsfall vorbereitet. So wurde in den allermeisten Unternehmen nicht einmal erhoben, wie viele Reservisten in der Belegschaft vorhanden sind. Aber in einem Spannungsfall sind diese Personen von jetzt auf gleich nicht mehr am Platz. Da sehe ich erheblichen Nachholbedarf. Wir setzen deshalb jetzt mit Unterstützung einer Anwaltskanzlei einen Krisen-Resilienz-Test für Unternehmen auf und geben praktische Hilfestellung für die Umsetzung eines krisenfesten Konzepts.“

Sönke Reimers, Former CEO dfv Mediengruppe
„Bundeswehr muss ‚kriegstüchtig‘ werden, aber Wirtschaft auch. Nichts macht sich von allein, wir leben nur mit dem, was wir geben. Nach meinem Ausstieg bei dfv habe ich mich für ‚Mein Jahr für Deutschland‘ entschieden und engagiere mich dafür an der Schnittstelle von Wirtschaft, Medien, Politik, Militär und Zivilgesellschaft.“
Mehr Innovation für Verteidigung & Souveränität

Dr. Rolf Kluge, CTO der auf Applikationsentwicklungen spezialisierten Appsfactory sowie der Cloudfactory, die sich mit Datensouveränität kritischer Infrastrukturen von Stromnetzbetreibern befasst
„Digitale Souveränität in Form von nationalen Cloud-Angeboten wurde bislang von vielen Unternehmen sträflich vernachlässigt. Die verlockende Einfachheit und scheinbare Sicherheit großer Hyperscaler wie von Amazon, Google oder Microsoft hat den Blick dafür verstellt, wie entscheidend eine hundertprozentige eigene, souveräne Kontrolle über den Betrieb ist. Denn im Ernstfall wollen beispielsweise kritische Infrastrukturen wie die von Stromversorgern nicht auf externe Dienstleister aus dem nichteuropäischen Ausland angewiesen sein.
Wenn der Strom ausfällt, will man nicht in Kalifornien anrufen müssen! Daher ist es unerlässlich, ein leistungsfähiges nationales Lieferantenökosystem aufzubauen, das mittelständische Softwareunternehmen aktiv miteinbezieht. Obwohl viele dieser Mittelständler über qualifiziertes Personal verfügen, um autarke Cloud-Infrastrukturen zu realisieren, bleibt ihnen der Zugang zu Ausschreibungen für verteidigungsrelevante Aufträge oft verwehrt.
Interessanterweise werden immer noch viele Aufträge zur Entwicklung von privaten Clouds an internationale Systemhäuser vergeben. Bei der Umsetzung werden die Abhängigkeiten zu internationalen Hyperscalern nicht vollständig aufgelöst. Ein dringendes Umdenken in Politik und bei großen Auftraggebern ist folglich notwendig, um diese Lücke zu schließen und die nationale digitale Souveränität nachhaltig zu stärken.“

Dr. Dirk Zimper, MBDA Deutschland, Director Future Systems Germany, Member of the Board„Laserwaffen sind keine Zukunftsmusik mehr – wir haben gezeigt, dass man mit Hochenergie Drohnen wirksam bekämpfen kann.“

Karsten Schneider, Konteradmiral a.D., Präsident des Deutschen Maritimen Instituts
„Die notwendigen Innovationen im Bereich Sicherheit dürfen nicht nur aus der Rüstungsindustrie kommen, sondern auch von neuen Anbietern. Stichwort Dual Use, zum Beispiel von Start-ups, die völlig neue Ansätze haben. Innovation ist das Gebot der Stunde. Das Problem von Mittelständlern und Start-ups ist, an den Moloch Verteidigungsbeschaffung heranzukommen. Das neue Defence Lab Erding der Bundeswehr im Umfeld der UniBw München und zahlreicher Start-ups ist ein guter erster Schritt, Innovationen zu fördern.“

Johannes Arlt, Senior Vice President bei STARK, Hersteller von Kampfdrohnen
„Die deutsche Wirtschaft muss sich als ein Teil der Verteidigung begreifen. Anders als etwa in Schweden gibt es dieses Bewusstsein hierzulande noch nicht. Es muss zum Beispiel eine Selbstverständlichkeit sein, dass Unternehmen Mitarbeiter zu Wehrübungen abstellen. In Schweden wurde das Ziel gesetzt, dass das Land im Kriegsfall drei Monate autark funktionieren muss. Damit erhalten alle gesellschaftlichen Bereiche Aufgaben, die sie lösen können. In Deutschland gibt es beispielsweise keine verpflichtenden Standards für die Kommunikation staatlicher Stellen.
Gäbe es solche, könnten sich Unternehmen darauf einstellen und entsprechende Technik anbieten. Das geplante Beschaffungsbeschleunigungsgesetz sollte vor allem auch auf Innovationen ausgerichtet sein. Es kann nicht sein, dass die Bundeswehr Systeme beschafft, die bei der Auslieferung schon veraltet sind. Updates müssen innerhalb weniger Wochen möglich sein. Unsere enge Zusammenarbeit mit ukrainischen Partnern zeigt, wie viel Innovationskraft, Geschwindigkeit und lokales Know-how entstehen können, wenn Industrie, Einsatzrealität und nationale Sicherheitsinteressen eng verzahnt sind – ein Ansatz, der auch in Deutschland stärker verankert werden sollte.“

Dr. Anja Opitz, Zuständig für den Bereich Internationale Politik & Sicherheitspolitik an der Akademie für Politische Bildung
„Mein Wunsch an die Regierung wäre ein Zielbild für europäische Handlungsfähigkeit, eine echte Architektur mit Zukunftsfähigkeit und Wirkprinzipien, mit Planbarkeit für Unternehmen, mit Rückhalt für Investitionen und mit Verbindlichkeiten für Förderstrukturen. Was bedeutet das konkret? Zum Beispiel Fähigkeitsplanung statt Ad-hoc-Bedarf mit klaren Mengen, strategische Beschaffungskorridore abgestimmt mit der EU-Kommissionsabteilung Defence Industry and Space – DG DEFIS – in Brüssel und die Absicherung industrieller Vorentwicklung.“

Dr. Priscilla Schelp, General Partner, Global Resilience Innovation Fund
„Gut, dass wir unsere demokratischen Werte öffentlich diskutieren und ihre Verteidigung in den Fokus rücken. Ebenso wichtig ist das zusätzliche Kapital, das jetzt bereitsteht. Entscheidend wird sein, es gezielt einzusetzen – nicht nur für Großunternehmen, sondern gerade auch für Start-ups mit disruptiven Technologien. Denn nur so schaffen wir gemeinsam mehr Resilienz für unsere Gesellschaft und sichern den Erfolg unserer Wirtschaft.“

Frank Sieren, China-Experte und Bestseller-Autor mit Sitz in Peking
„Die entscheidende Frage ist wie sich die Stimmung gegenüber der Modernisierung der Bundeswehr verändert, wenn es dann doch zu einem Frieden in der Ukraine kommt. Sind die Deutschen dann angesichts der vielen anderen Probleme noch immer noch bereit, viel Geld in Verteidigung zu investieren? Wie ändert sich dann die Bereitschaft der Bevölkerung, in sinnvolle Verteidigung zu investieren? Hinzu kommt: Die Welt teilt sich mehr und mehr in die Minderheit des etablierten Westens und das Mehr der aufsteigenden Staaten im globalen Süden. Sie sehen ganz andere Bedrohungslagen und bevorzugen Mehrheitsentscheidungen gegenüber dem Recht des Stärkeren.“
Ist der Begriff Dual Use in Bezug auf die Verteidigung noch zeitgemäß?

Dr. Jörg Karas, Beiratsvorsitzender und Gesellschafter des Cybersecurity-Anbieters Greenhats
„Ich finde den Begriff Dual Use, wie er in diesem Zusammenhang genutzt wird, kontraproduktiv. Er steht mir zu sehr für die Trennung der zivilen und der militärischen Welt. Doch die Angriffsflächen sind beispielsweise im Bereich Cybersecurity dieselben. Entscheidend ist doch, was ein Angreifer von meinem Unternehmen, meiner Behörde, meinem Standort sieht, wenn er mich über das Internet attackiert. Die Verteidigungsmechanismen unterscheiden sich nicht.“

Dr. Heiko Herold, Nonresident Fellow des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel
„Durch hybride Kriegsführung verfolgen autoritäre Regime das Ziel, staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen demokratischer Staaten zu destabilisieren und den globalen Westen systematisch zu schwächen. Die eingesetzten Mittel – etwa Sabotage, Desinformation oder Cyberoperationen – bleiben dabei bewusst unterhalb der Schwelle offener, kinetischer Gewalt. Die Angriffe werden sowohl von staatlichen als auch nichtstaatlichen Akteuren durchgeführt. Sie richten sich gezielt gegen Infrastrukturen, Unternehmen, Medien oder Behörden. Mark Galeotti bezeichnet dieses Vorgehen treffend als ‚Weaponization of Everything‘."
