Regulierung

„Wir brauchen Notfallpläne für den Bürokratieabbau“

Walter Nussel ist Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung. Seine Forderung: Alle verzichtbaren Vorschriften für zwei Jahre aussetzen. Er plädiert im Interview für mehr gesunden Menschenverstand und einen Staat, der sich als Dienstleister versteht.

Walter Nussel, Mitglied des Bayerischen Landtags und Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung, lehnt an einer Säule

24.04.2025

Sie sind Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung:
Haben Sie einen Ratschlag für die kommende Bundesregierung, wie es gelingen kann, die überbordende Regulierung einzudämmen?

Walter Nussel: Wir müssen wieder mehr Vertrauen in die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmer setzen. Statt einer „Vollkasko-Mentalität“ braucht es mehr Pragmatismus, Lebensnähe und Raum für gesunden Menschenverstand. Ein überregulierter Staat hemmt Innovation, unternehmerischen Mut und die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Eigenständiges Denken wird durch kleinteilige Verordnungen immer weiter eingeschränkt, während unverhältnismäßig hohe Strafen für kleine Verstöße abschreckend wirken.
Bürokratieabbau muss umfassend und strategisch angegangen werden. Dabei spielen sowohl der Abbau unnötiger Hürden als auch die Schaffung effizienter, digitaler Prozesse eine zentrale Rolle. Antrags- und Genehmigungsverfahren müssen deutlich unbürokratischer und schneller werden. Weniger Formulare, kürzere Bearbeitungsfristen und vereinheitlichte digitale Schnittstellen sind hierfür entscheidend. Datenschutzvorgaben dürfen dabei keine unüberwindbaren Hindernisse sein – Behörden müssen Daten effizient und verantwortungsvoll nutzen können und dürfen. Auch die Umsetzung von EU-Vorgaben sollte auf den notwendigen Standard begrenzt bleiben. Ein sogenanntes „Gold-Plating“, also die übermäßige Verschärfung von EU-Regelungen, ist nicht zielführend.
Förderanträge und Verwendungsnachweise sind aktuell zu kompliziert gestaltet und bedürfen einer klaren Vereinfachung. Zudem müssen nicht-staatliche Organisationen, die Aufgaben im Auftrag des Staates übernehmen, stärker kontrolliert werden, um deren Arbeit transparenter und effektiver zu gestalten. Unser Ziel sollte sein, mehr Vertrauen in die Fähigkeiten und den Verstand der Menschen zu legen, statt diese durch überbordende Bürokratie und Vorschriften zu entmündigen.
Ein schlanker, pragmatischer Staat fördert Innovation und wirtschaftlichen Fortschritt – und gibt den Menschen die Freiheit, ihre Potenziale zu entfalten. Der Abbau von Bürokratie ist kein Selbstzweck, sondern ein essenzieller Schritt zur Stärkung der Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Es bedarf eines Kulturwandels hin zu mehr Pragmatismus, Eigenverantwortung und Vertrauen in die Handlungskompetenz aller Beteiligten. Der Staat sollte sich als Dienstleister verstehen, der mit klaren, schlanken Prozessen und modernen digitalen Lösungen aus der Praxis die Grundlagen für Innovation, wirtschaftliches Wachstum und eine bürgerfreundliche Verwaltung schafft. Nur durch konsequentes Handeln in diesen Bereichen kann Deutschland den Herausforderungen der Zukunft gerecht werden.

Sie fordern, auf Bundesebene mit Notfallplänen und -verordnungen verzichtbare Vorschriften für zwei Jahre auszusetzen. An welche Vorschriften denken Sie konkret und was würde das bewirken?

Nussel: Wir brauchen „Notfallpläne Bürokratieabbau“ in drei Bereichen: Erstens bei der Infrastruktur. Der Zustand der Verkehrsinfrastruktur – das Straßen- und Schienennetz, die Brücken, etc. – wird immer schlechter und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum immer drängender. Wenn Bauvorhaben jahrelang durch Genehmigungsverfahren blockiert werden, steigt der Sanierungsstau und wächst die Wohnungsknappheit weiter. Einfachere Verfahren und klarere Verantwortlichkeiten könnten dazu beitragen, schneller und effektiver zu bauen – ohne dabei die Grundsätze des Umweltschutzes zu opfern.
Zweitens bei der Gesundheitsversorgung: Ein modernes und leistungsfähiges Gesundheitssystem ist nur dann möglich, wenn bestehende Einrichtungen modernisiert und neue Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und medizinische Infrastruktur zeitnah umgesetzt werden können. Starre Auflagen und ineffiziente Prozesse gefährden die Versorgungssicherheit – besonders in ländlichen Gebieten. Und drittens bei der Energieversorgung: Die Energiewende ist essenziell, aber gleichzeitig drängend. Um erneuerbare Energiequellen auszubauen, müssen Genehmigungen für Windkraft- oder Solaranlagen schneller erfolgen. Der Schutz von Flora und Fauna ist wichtig, aber eine einzelne Eidechse darf nicht dazu führen, dass ein ganzes Projekt ins Stocken gerät. Pragmatismus und klare Priorisierungen sind hier gefragt.

Sollten verzichtbare Vorschriften wirklich für zwei Jahre ausgesetzt werden – würden dann nicht reihenweise negative Effekte eintreten – also etwa mehr Korruption, mangelnde Produktsicherheit, fehlender Arbeitsschutz oder Umweltdelikte?

Nussel: Mögliche negative Effekte, die während der zweijährigen Aussetzung bestimmter Regelungen auftreten könnten, sind kein Problem, sondern vielmehr Teil der Lösung. Sie bieten die Chance, Erkenntnisse darüber zu gewinnen, ob staatliche Vorgaben tatsächlich notwendig sind oder ob mehr Eigenverantwortung der Unternehmen zu besseren Ergebnissen führt. Unser Ziel ist es, überflüssige Standards abzuschaffen und unnötige Regulierung zu vermeiden – zugunsten einer flexiblen, eigenverantwortlichen und innovationsfreundlichen Wirtschaft. Leistungsträger benötigen unbedingt wieder mehr unternehmerische Freiheit.

Wie beurteilen Sie die Vorhaben der EU, die Fristen für das Lieferkettengesetz und die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verschieben, um den Bürokratieabbau zu fördern. Bringt das den Unternehmen und insbesondere dem Mittelstand die nötigen Entlastungen?

Nussel: Anstatt Fristen für die Umsetzung unnötig zu verschieben, sollte der Fokus darauf liegen, Unternehmen mehr Eigenverantwortung zu ermöglichen, anstatt sie durch starre Standards und übermäßige Bürokratie zu belasten. Eine praxisnahe und pragmatische Umsetzung ist entscheidend, um dem Mittelstand echte Entlastung zu verschaffen – ohne zusätzliche Berichtspflichten oder regulatorische Hürden, die Innovation und unternehmerische Freiheit einschränken.

Walter Nussel

Der CDU-Politiker ist seit 2013 Mitglied des Landtags und seit 2017 Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung.