Gastbeitrag

Mentale Gesundheit im Unternehmen

Warum Fürsorge die stärkste Form von Führung ist

Flexible Arbeitsmodelle gelten oft als Fortschritt, doch die Zahlen erzählen eine andere Geschichte: Psychisch bedingte Krankheitsausfälle steigen seit über einem Jahrzehnt kontinuierlich. Laut TK-Gesundheitsreport 2024 sind knapp 20 Prozent aller Fehlzeiten auf psychische Erkrankungen zurückzuführen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.

Vier Personen, die sich an ihrem Arbeitsplatz unterhalten, als Hinweis auf mentale Gesundheit im Unternehmen

21.10.2025

Als Senior Coach bei Pipedrive erlebe ich täglich, wie eng psychische Gesundheit und wirtschaftlicher Erfolg miteinander verknüpft sind. Gesunde Mitarbeitende sind motivierter, kreativer und loyaler. Wenn wir als Führungskräfte ihre Bedürfnisse ernst nehmen, fördern wir nicht nur das Wohlbefinden, sondern auch die Leistungsfähigkeit unserer Teams.

Zwischen Freiheit und Überforderung

Hybride Arbeitsmodelle, Homeoffice und flexible Arbeitszeiten bieten auf dem Papier mehr Freiraum. In der Realität aber erleben viele Beschäftigte steigenden Leistungsdruck und ständige Erreichbarkeit. Besonders in schnelllebigen Branchen wie der Tech-Welt werden extreme Arbeitszeiten wie "996" (9 bis 21 Uhr, 6 Tage die Woche) oft als Zeichen von Engagement interpretiert. Doch genau diese Haltung führt langfristig zu Erschöpfung, Überforderung und psychischen Erkrankungen.

In meinen Coachings sehe ich immer wieder: Gesundheitsbewusstes Führen ist kein „Nice-to-have“, sondern ein Wettbewerbsvorteil. Denn nur wer langfristig leistungsfähig ist, kann Innovation und Wachstum nachhaltig gestalten.

Mentale Gesundheit im Unternehmen: Frühwarnsignale erkennen

Psychische Belastungen entwickeln sich selten abrupt – sie kündigen sich schleichend an. Führungskräfte, die achtsam sind, können Ausfälle verhindern. Diese fünf Warnsignale sollten Sie ernst nehmen:

  1. Leistungseinbrüche: Häufige Fehler, sinkende Qualität oder verpasste Deadlines.
  2. Rückzug: Mitarbeitende beteiligen sich seltener an Gesprächen oder Teamaktivitäten.
  3. Verhaltensänderungen: Gereiztheit, Zynismus oder starke Stimmungsschwankungen.
  4. Überengagement: Dauerhafte Überstunden oder ausgelassene Pausen sind Warnzeichen, nicht Leistungsbeweise.
  5. Körperliche Symptome: Kopfschmerzen, Schlafprobleme oder häufige Krankheitstage sind oft Ausdruck mentaler Überlastung.

Vom Erkennen zum Handeln

Das Erkennen von Warnsignalen ist der erste Schritt – entscheidend ist, wie Führungskräfte reagieren. Regelmäßige, persönliche Check-ins schaffen Vertrauen und bieten Raum, über Belastungen zu sprechen. Eine einfache Frage wie „Wie kann ich dich gerade am besten unterstützen?“ kann den entscheidenden Unterschied machen.

Ebenso wichtig ist Flexibilität, die Erholung ermöglicht. Flexible Arbeitszeiten oder das Verschieben von Prioritäten sind keine Belohnung, sondern notwendige Maßnahmen, um Burnout vorzubeugen.

Auch sichtbare Unterstützungsangebote wie Coaching, interne Ansprechpersonen oder externe Beratung tragen zur Entlastung bei. Führungskräfte können hier mit gutem Beispiel vorangehen und zeigen: Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche – sondern von Stärke.

Kulturwandel beginnt bei der Führung

Mentale Gesundheit im Unternehmen darf kein Tabuthema bleiben. Wenn wir als Führungskräfte offen über Stress und Überforderung sprechen, schaffen wir eine Unternehmenskultur, die Resilienz, Vertrauen und Zusammenhalt fördert.

Psychische Gesundheit ist eine gemeinsame Verantwortung – sie entsteht durch Bewusstsein, Empathie und Zusammenarbeit. Wenn wir unsere Teams ganzheitlich stärken, profitieren nicht nur die Menschen, sondern das gesamte Unternehmen.

Mentale Gesundheit ist kein Kostenfaktor, sondern der Wachstumsmotor der Zukunft.

Liina Adov

PhD, ist Senior Coach bei Pipedrive und unterstützt Führungskräfte und Teams dabei, gesundheitsorientierte Strukturen in den Arbeitsalltag zu integrieren. Ihre Schwerpunkte liegen auf mentaler Gesundheit, Resilienz und Leadership-Entwicklung.